Die Geschichte des World Serpent-Vertriebes ist eine Geschichte von Licht und Schatten, in deren Verlauf so manche musikalische Wegmarke gesetzt wurde, aber auch eine Reihe an mittelmäßigen Erzeugnissen zu Ruhm gelangten. Im Schatten der großen Namen, mit denen jeder Musikinteressierte heute etwas verbindet, gediehen auch eine Reihe an unscheinbareren Geheimtipps, die musikalisch oft etwas spröder waren und sich schwerer zuordnen ließen. In diese Gruppe gehörte auch die Folkband Orchis, die mit WSD besonders verknüpft war, da Mitinhaber Alan Trench zugleich eine ihrer treibenden Kräfte war.
An Orchis’ Folk haben sich schon immer die Geister geschieden, da ihre Spielweise bisweilen improvisiert wirkt und oft ins Disharmonische kippt, was mit dem sehr klaren Gesang Tracy Jefferys, der an Stimmen aus reizvolleren Zeiten erinnert, ein interessantes Spannungsverhältnis erzeugt. Dieses Paradox lässt sich vielleicht am besten als eine Art spröde Geschmeidigkeit beschreiben, die immer stimmig wirkt und schon deshalb einen ebensolchen Reiz hat wie Orchis’ Hang zum Ritual und zu einem paganen Weltverständnis. In unserem Interview kann man sich davon überzeugen, dass das wenig mit weltfremder Fantasterei oder dem biederen Gemütskitsch einiger Kollegen zu tun hat. Jeder, der die berühmte Opferszene in Pasolinis „Medea“ neofolkiger findet als Breitband-Fantasy à la Pete Jackson, sollte verstehen, was gemeint ist und Orchis dafür schätzen. Irgendwann nach der Jahrtausendwende wurde es ruhiger um die Band, was aber nicht heißt, dass die Mitglieder unkreativ waren – andere Projekte wie Twelve Thousand Days, Temple Music und zuletzt Howling Larsens beweisen das Gegenteil.
Mit „A Dream“ erscheint dann auch Orchis selbst zurück auf der Bildfläche. Ihre Handschrift ist nach wie vor die gleiche, die ihre Musik schon in den 90ern prägte, und in ihrem Fall ist das durchweg als Kompliment gemeint. Schon der einleitende Track „No Return“, der wie drei weitere Songs bereits auf der vergriffenen Chimaera-EP zu hören war, besitzt diese trügerische Schönheit nahezu aller Orchis-Werke – trügerisch deshalb, weil das erbaulich wirkende ein eher oberflächliches Phänomen ist. Dazu muss man nicht einmal das naturmystische amor fati betrachten, dass in dem mantraartigen Text anklingt, denn schon der rituelle Paukenschlag und das immer stärker anschwellende Dröhnen und Rasseln setzt Gesang und Melodie in einen Kontext, der mit Verklärung und Nostalgie nur ungenügend erfasst wäre.
Viele der folgenden Songs pendeln zwischen diesen Polen, ohne sich je ganz für ein Extrem zu entscheiden. Während das minimal instrumentierte „Grim King of the Ghosts“ mit spielerischem Ernst dem Experiment fröhnt, zeigen Traditionals wie „Kishmul’s Galley“ und „Fisherman’s Girl“ die Band von ihrer aufgeweckten, fast poppigen Seite. Dies allerdings ohne völlig auf die spröden Überraschungsmomente zu verzichten, die in bitter-fatalistischen Texten oder im dronigen Klang eines tastenlosen Miniatur-Harmoniums vesteckt sind. Die Ballade „Just As The Tide Was Flowing“, die bei Orchis leicht mediterran klingt, präsentiert ein Frauenbild jenseits idyllischer Weichzeichnung. Auch hier klappert und dröhnt es hinter dem fast etwas zu schönen Glockenspiel, und vielleicht ist es gerade das Unaufgeräumte in allen geheimen Ecken, das den Song als merkwürdigen Grenzgang enden lässt, bei dem die ewige Wiederkehr – „the tide flows in, the tide flows up“ – nicht mehr nur tragisch, sondern auch etwas wahnsinnig anmutet.
Kein wirkliches Novum, aber eine klare Akzentverschiebung findet sich im verstärkten Interesse an ambientuntermalten Textrezitationen, wofür Alans Duo Howling Larsens sicher ein gutes Experimentierfeld bietet. Neben der hörspielartig umgesetzten Passage aus Robert Herricks „The White Island“ soll vor allem ein Auszug aus der altenglischen Elegie „The Wanderer“ hervorgehoben werden. Hier holten sie sich Unterstützung von einem versierten Kenner der alten Sprache, und ebenso wie bei den ähnlich gearteten „Whaler’s Lament“ und „Gaia“ offenbart der melierte Dronesound und Tracys Harfenspiel ein Interesse am feinsinnigen Klang, der durchaus in neue Richtungen zu gehen scheint.
Orchis stehen nachwievor für sich selbst, und sind zugleich ein Vorzeigebeispiel dafür, dass zeitgenössische Musik mit Folkwurzeln ihren stereotypen Ruf nicht verdient, wenn man einfach mal abseits ausgetretener Pfade sucht. Ähnliches lässt sich über das vorchristliche Element ihrer Musik sagen, das von einer vitalen, erdigen Natur ist, wie sie nur selten derart ernsthaft umgesetzt wird. “A Dream” knüpft an das Niveau von Alben wie “Mandragora” und “A Thousand Winters” an und ich hoffe sehr, dass das nächste Album keine weiteren fünfzehn Jahre auf sich warten lässt. (U.S.)
Label: Infinite Fog