FATHER MURPHY: Pain Is On Our Side Now

In der Welt der experimentellen Musik ist es mehr als einmal vorgekommen, dass eine konzeptuelle Idee besser klang als das Resultat ihrer Umsetzung. Dessen müde, mag man vielleicht zu einer gewissen Skepsis neigen, wenn Father Murphy – bekannt für Marotten mit Stil – ihre neue Veröffentlichung als ein Album ankündigen, das zugleich ein doppeltes ist, und dem Hörer, vorausgesetzt er besitzt zwei Turntables, eine nicht unwesentliche Rolle im kreativen Prozess beimisst. „Pain Is On Our Side Now“ besteht aus zwei einseiting bespielten Vinylscheiben im 10”-Format, mit jeweils zwei Songs, die man je nach Neigung oder technischer Ausstattung der Reihe nach hören kann. Man kann sie jedoch auch simultan abspielen mit dem Resultat einer ganz anderen Musik. Und auch wenn das nicht vorgesehen sein mag, kann man ebenso die Simultanität durchbrechen, und nur bestimmte, immer andere Passagen nebenher laufen zu lassen – so lange, bis dass man selbst die beste Version des Albums zusammengemischt hat.

Dass das Konzept aufgeht, hat zweierlei Gründe: Der wichtigste ist struktureller Natur und zugleich ein Resultat der Klangwahl des italienischen Trios. Father Murphys Musik ist kollagenhaft, und im Zentrum steht meist das musikalische Einzelmotiv, das klangliche Objekt. Ob es sich um markante Bassläufe, diverse Tapeloops, wilde Trommelwirbel oder andere Perkussion handelt – ebenso wie der wilde Klangegesang Freddie Murphies stehen sie primär für sich, und fungieren erst in zweiter Linie als Teil eines kompositorischen Zusammenhangs. Wo ein bestimmtes Motiv hingehört, ist relativ offen, und dies ohne viele Cut-ups und in einer enorm energiegeladenen Livestimmung zustande zu bringen, zählt zu den Stärken der Band. Der andere Grund liegt in der streckenweise skellettierten Gestalt der jeweiligen Stücke.

Father Murphy haben einen Hang zum Monumentalen, eine treibende Energie, die in ihrer Eindringklichkeit überschäumendes Pathos zulässt und es zugleich durch eine krude Unverblümtheit eindämmt. Diese Eigenschaft lässt mich, trotz unterschiedlicher musikalischer Mittel, oft an Swans und Angels of Light denken, und es ist bemerkenswert, dass dies auch in den weniger fülligen Momenten der separaten Stücke gewahrt bleibt. Wie gewohnt bilden scheppernde und dröhneden Sounds die Kulisse für eine ganze Reihe an Motiven, die wie kurzerhand aufgeschnappte Zitate auf die Bühne geworfen werden: Mal ist es eine Klarinette, mal sind es feierliche Bläser, mal etwas weniger feierliche, aber nicht minder blecherne Klänge, die entfernt an ein Saxophon erinnern, und immer wieder werden sie von einem zackigen Schlagwerk durch die Szenerie getrieben wie eine Parade zombifizierter Cheerleader.

Stimmen erklingen allerorts, vermitteln einen kurzen Eindruck von Orientierung, der sich allerdings als Illusion entpuppt. Sie erklingen in Form von amerikanischen Radiosamples, von unterschwelligem Grummeln, von sakralen Chören und nicht zuletzt in der Gestalt von Freddies entgrenzten Schreien und dem Gastbeitrag von Sänger Ezra Buchla (Gowns). Als „downward spiral“ verstehen sie laut Booklet ihre Herangehensweise, im krassen Unterschied zum Loop, der in ihrem Verständnis eine religiöse Struktur hat. Father Murphy dagegen sei das Gegenteil eines Glaubensbekenntnisses, vielmehr die Inszenierung des eigenen Kollaps. Der allerdings kann mit sowiel Wut im Bauch nicht anders als triumphal ausfallen.

Label: Boring Machines/Aagoo Records