Das erstmals vor neun Jahren erschienene Album „Kosmodrom“ ist dem russischen Privatgelehrten Konstantin Ziolkowski gewidmet, der sich in den Jahren um 1900 ausgiebig einem Wissensbereich widmete, dessen große Zeit erst im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts anbrechen sollte – der modernen Astronomie bzw. dem, was man in der Sowjetunion dann Kosmonautik nannte. Neben dem allgemeinen Faszinosum, das der exzentrische und zu Lebzeiten verkannte Pionier darstellt, gibt es zumindest einen persönlichen Aspekt, der ihn mit Massimo Magrini, dem Mann hinter Bad Sector, verbindet: die Verknüpfung von (natur)wissenschaftlicher Neugier und künstlerischem Ausdruckswillen. Ziolkowski war ursprünglich Autor von Science Fiction-Stories, die das Substrat seiner späteren Forschungen bildeten. Magrini wiederum hat vor seiner Zeit als Ambientmusiker nicht nur Komposition studiert, sondern auch das, was heute unter dem banalen Kürzel IT gefasst wird.
Es ist sicher auch dieser Doppelansatz als Wissenschaftler und Künstler, die das italienische Projekt nun seit fast zwanzig Jahren für durchaus unterschiedliche Anhänger elektronischer Musik interessant macht, und gerade „Kosmodrom“ schaffte es, die Technophilen und die Schöngeister an einen Tisch zu bringen. In seiner ausgewogenen Mischung aus gleitenden Soundflächen und rhythmischen Momenten im Midtempo geling es Magrini, die Balance zwischen Harmonie und Experiment, zwischen entspannten und anstrengenden Motivkomplexen zu halten. Dass Stimmung und Wirkung der Musik nie dauerhaft in eine dieser Richtungen kippt, verdankt sich primär einem soliden Sinn für Dauer und Anordnung einzelner Komponenten. Oft lässt Magrini sich bei ausladenden Passagen Zeit, ohne diese zu schinden, jede Brücke von einem Klangmuster zum nächsten erscheint sinnvoll, keines der Stücke steigert sich in Fülle und Intensität mehr als nötig. Die Wahl der Instrumente tat ihr übriges, allem voran Synthies russischer Bauart. Neben den warmen, immer leicht summenden Sounds des analogen Aelita Synthies, der ein großes atmosphärisches Spektrum umfasst, sorgt der altertümliche ANS-Synthesizer für Kolorit: Viele kennen das Gerät sicher von den späten Coil, bei denen Technik stets Mittel zum Zweck war und eine mystisch-archaische Stimmung erzeugt wurde. Hier dagegen ist sie auch inhaltlich stets präsent, wobei sich die Hommage nicht nur auf Ziolkowskis Arbeiten beschränkt. Verschiedene Wegmarken der Kosmonautik, teils prophetisch von Ziolkowski erahnt, tauchen in Samples und Songtiteln auf.
Dass „Kosmodrom“ jedoch kein (nur) nostalgisches SciFi-Idyll entwirft, verdankt sich noch am wenigsten den Funk- und Radiozitaten aus den Annalen der sowjetischen Raumfahrt. Mehr noch als die zahlreichen rauen, bohrenden, fräsenden Geräusche, die den ambienten Wohlklang regelmäßig aufbrechen, ist es die leicht derangierte Seite der Komposition, die mit einem anstrengenden Gegenpart kontert. Bei wuchtigen Passagen mit Tangerine Dream-Trompeten geschieht dies sicher wohlüberlegt, und auch der finale „Kosmos“ entpuppt sich so keineswegs als „Ort“ der Weltflucht. Die fünf unveröffentlichten Tracks, die die ursprüngliche Bonus-MCD ergänzen, setzen auf dieser experimentierfreudigen Seite ihren Akzent, gestalten sich noch mal um einiges unberechenbarer und unruhiger, was sich bis in den dröhnenden Untergrund hinein feststellen lässt – ein Bonus also, der die Wiederveröffentlichung nicht nur für Spätgeborene und solche, die nach dem Millenium dem etwas redundanten Dark Ambient den Rücken gekehrt hatten, interessant macht. (U.S.)
Label: Power & Steel/Loki Found