BARRIKAD: Nordic Ideological Frontline

In der an kryptorechten und libertären „Aufklärern“ nicht gerade armen Post Industrial-Szene wirkt ein Projekt wie Barrikad mit seinem marxistischen Referenzkosmos fast wie ein Kuckucksei. Dass der Gothenburger meilenweit entfernt ist vom wässrigen Geseier einer akademischen Pseudolinken und sich keineswegs scheut, mit Bands von inkorrektem Ruf in einem Boot zu sitzen, mach ihn zusätzlich interessant. Seine an den Altvorderen orientierte, oft noisige Spielart des Industrial sorgt mittlerweile schon seit fast anderthalb Jahrzehnten für durchdachte Konzeptalben, die selten bis zum Gelegenheitshörer industrieller Klänge durchsickern. Das liegt freilich auch an der Wahl der Labels, von denen Xerxes, Freak Animal und Nil by Mouth noch die bekanntesten sind. Da vieles davon vergriffen ist, erscheint der Zeitpunkt reif für die vorliegende Auswahl an repräsentativen Tracks, die gerade bei Aaltra Records erschienen ist.

Der Titel „Nordic Ideological Frontline“ enthält drei Begriffe, die den Barrikad-Kosmos zumindest in Teilen abstecken, wobei v.a. der Verweis auf Ideologie für seinen konfrontativen Aspekt spricht – hat sich im Volksmund doch längst die Vorstellung etabliert, dass Ideologie immer die Weltanschauung der anderen ist. Die Werkgeschichte des Schweden wird hier rückwärts erzählt, und so beginnt die Sammlung mit der etwas schmissigeren Hälfte der letztjährigen 2 Track-EP „Through The Voice One Becomes Animal“. Was „Freedom Is Only Possible In The Struggle For Liberation“ ausmacht, sind ein bei aggressivem Lärm oft unterschlagener Kollagencharakter und die vielen echten Blechsounds, die die Welt hinter dem schnell rotierenden Soundbrei bevölkern. Split und Späne vergegenwärtigen alte Industrial-Tage, als nomen noch omen war, doch anders als beim Mystifizierer Vivenza bekommt Arbeit hier etwas Dystopisches, das eher an den Furor von Robert Kurz und anderer Autoren der neomarxistischen Wertkritik erinnert. Das Hintergründige, das mit der klanglichen Drastik ein seltsames Spannunggefüge erzeugt, zieht sich durch alle Werkphasen, prägt die nah am Harsh Noise angesiedelten Stücke („Candyland“ mit seinen sirenenartigen Geräuschen, das noch derangiertere „Back to Order“, das PE-Stück „I don’t“ mit seinen entmenschlichten Schreien) ebenso wie die etwas ruhiger gehaltenen, düsteren Tracks: Das Messerwetzen in „Imperfect Courage“ ist dafür das vielleicht beeindruckendste Beispiel, dringt es doch auch dann noch durch das infernalische Dröhnen, wenn dieses seine stärkste Dichte erlangt hat.

Ein Paradox, das guten Industrial auszeichnet, gelingt auch hier, nämlich trotz lauter Proklamatorik etwas zu kreieren, das Umberto Eco „la opera aperta“ genannt hat: Werke, bei denen sich an zentralen Punkten Leerstellen auftun, so dass der Rezipient sich auf Andeutungen einen eigenen Reim machen muss. Wessen Heulen hört man in „Howl for Valerie Solanas“, das der Warhol-Schützin gewidmet ist, die im SCUM-Manifesto eine flächendeckende Entmannung der Gesellschaft und die Degradierung des starken Geschlechts zu industriellen Zuchtbullen forderte? Sind es die Schmerzensschreie der Kastrierten, oder doch eher der zustimmende Jubel des Künstlers, der einer als frauenfeindlich erlebten Gesellschaft den Spiegel ins Antlitz halten will? Der lakonische Zugang zu komplexen Themen ist ein guter Garant für eine solche Offenheit.

Man könnte zu jedem Track vieles schreiben, ich will jedoch selbst die Auflistung und Albenzuordnung dem fleißigen Sucher selbst überlassen und wünsche dem Schweden, dass er auch noch die nächsten 15 Jahre auf den Barrikaden stehen wird, und dass sich ein paar mehr Wütende dazu gesellen. (U.S.)

Label: Aaltra Records