IRMLER & LIEBEZEIT: Flut

Jaki Liebezeit, den man vor allem als CAN-Drummer kennt, dessen Wurzeln aber im Jazz liegen, begreift Notation und alles schriftlich Festgelegte in der Musik als enges Korsett, das den freien Fluss von Klängen, die nur scheinbar repetitiven Mustern folgen, zum Versiegen bringt: „Musical bars are like prison bars“, heißt es im Booklet des mit Hans Joachim Irmler (Faust) aufgenommenen Albums, das den bezeichnenden Titel „Flut“ trägt. „Flut“, das nur auf Orgel und Schlagzeug basiert, entstand im letzten Sommer in drei kurzen Sessions im Allgäuer Städtchen Scheer, unweit dem Donauufer.

Laut Eigenangabe trug der hier noch schmale und meist ruhige Strom nicht unwesentlich zur Gestaltung der Musik bei. Die Erinnerung an spontane Überschwemmungen, wenn der unberechenbare Fluss aus seinen gewohnten Bahnen tritt, sind fest im Gedächtnis der Anwohner verankert, ihre Erzählungen hinterließen ihre Spuren auf diesem Album, dessen Aufnahme eigentlich nur eine Bandprobe sein sollte.

Auch die sechs improvisierten Stücke mäandern über weite Strecken gleichförmig vor sich hin und erwecken dort den Eindruck von Ruhe und Überschaubarkeit, fast heimelig wirken ausladende Passagen, bei denen exotische Handtrommeln wie undefinierbare Objekte im wabernden Orgelnebel auftauchen – bis plötzliche Wechsel in Tempo und Rhythmus und radikale Brüche im Klangbild den Verlauf ändern. Jedes Gefühl von Sicherheit ist so als Illusion entlarvt, zugleich entsteht dadurch eine Spannung, welche die Musik aktiv erlebbarer macht, als es jedes psychedelische Idyll vermocht hätte. Das Spektrum und die Fülle an Klängen sind angesichts der minimalen Instrumentierung beeindruckend, zumal die Musiker sich beim Rückgriff auf Effekte eher zurückhalten. Etwas Hall und Momente, in denen die Orgel an Keyboard oder WahWah-Gitarren erinnert, werden so punktuell eingesetzt, dass es eher rätselhaft als manieristisch anmutet. Und doch gibt es etliche Stellen, an denen man vergessen könnte, es nur mit einem Duo zu tun zu haben.

Dies kann im Rahmen klanglicher Verschmelzung geschehen, wenn Orgel und Snares und all die synergetischen Nebeneffekte zu einer Einheit fusionieren – der rauschhaft-verrauschte Opener ist sicher nicht grundlos „Amalgam“ betitelt. Dann wieder gibt es Momente, in denen die beiden Komponenten Pole bilden, die sich kontrapunktisch aufrecht erhalten. Am markantesten gelingt dies in dem Track „Ein perfektes Paar“, dessen Titel durchaus auf Irmler und Liebezeit gemünzt werden darf. (U.S.)

Label: Klangbad