OTHON: Pineal

Dass das dritte Album des Pianisten Othon Matagaras nach dem kleinen Organ im Gehirn benannt wurde, das durch die Melatoninproduktion den Tag-Nacht-Rhtyhmus steuert, überrascht nicht, denn – und das dürfte bei der Titelwahl entscheidender gewesen sein – in esoterischen Kreisen wurde die Zirbeldrüse über die Jahrhunderte als Sitz der Seele, als drittes Auge gesehen und schon auf seinem ersten Album „Digital Angel“ wurde deutlich, dass Othon Konzepte schätzt und dass es nicht selten in seinem Schaffen um Transformation(en) geht. Auf seinem inzwischen dritten Album heißt es dann auch ganz explizit: „I have the right to evolve“ und: „I have the right to explore my own consciousness“. Wodurch dies geschehen soll, wird in den Linernotes erläutert, in denen Othon auf die Zweiteilung des Albums hinweist: Die ersten fünf Stücke sollen in Brasilien erlebte, von ihm so bezeichnete „’sacred medicine’ ceremonies“ in die Stadt zurückbringen, in der der gebürtige Grieche seit 15 Jahren ansässig ist: „an enchanting megalopolis filled up with art pushing the barriers, buildings pushing the skylines and technologies pushing forward the future“, vulgo: London, dessen Beschreibung hier entfernt an Blakes in Jerusalem gemachte Charakterisierung der Stadt an der Themse als „Human awful wonder of God“ erinnert. Auf dem zweiten Teil gehe es darum, die Teile seiner selbst, die den Stadtmenschen ausmachen, mit denen, die zur Natur gehören, zusammenzuführen. Hier finden sich dann Interpretationen von Musik indigener, schamanischer Zeremonien. Sieht man Schamanismus z.B. in Anlehnung an Eliade als „Technik der Ekstase“, dann ist das im Kontext des Albums durchaus passend. Dabei ist spirituelle Suche von Künstlern in anderen, oftmals als exotisch apostrophierten oder wahrgenommenen Regionen der Welt natürlich weit verbreitet, exemplarisch könnte man vier Jungs aus Liverpool und ihre Reise nach Indien nennen oder aber an Angus Mc Lises Umzug nach Nepal erinnern.

Schon im von Ernesto Tomasini gesungenen Opener „Pineal Kiss“ geht es um Heilung, hier durch die psychotrope Substanz DMT, das Bewusstsein schwingt sich in die Lüfte, um „ethereal beings“ zu begegnen. Dabei reizt Tomasini (noch) nicht alle Facetten seiner Stimme aus, klingt wie ein dekadenter Dandy. Dafür tragen sehr an den 90ern orientierte Technobeats und ein vierköpfiger Chor dazu bei, dem Hörer das „Tanzen mit Kobras“ zu vermitteln (damit wird auf den zweiten Teil des Albums vorausgedeutet). Labelkollege Bird Radio (mit bürgerlichem Namen Mikey Kirkpatrick ), der gar nicht so unähnlich wie Tomasini klingt, singt das von Othons Klavierspiel geprägte „Your Quantum Future“, auf dem sich textlich auch schon auf dem Debüt auftauchende Sci-Fi-Metaphorik findet: „Our sperm travels into space“, „In space-brothels we learn love“. Und auch hier wieder geht es um (Ver-)Wandlung: „One day I feel a boy/The next day I am a girl/And last week I was a snake“. Das Instrumental „City Shaman“ kombiniert monotone, pochende Perkussion mit John Garners dramatischem Geigenspiel. Darauf folgt das vorab als Single ausgekoppelte „Dawn Yet to Come“ – erneut von Technobeats untermalt und diesmal von einem sechsköpfigen Gospelchor unterstützt singt Tomasini in seinem Gänsehaut erzeugenden Falsett. , Mit der „Japan Suite“ endet der erste Teil; das ist ein meditatives, von asiatisch klingender Perkussion und getragenen Geigen dominiertes Instrumental, das das Exaltierte und Dramatische des vorherigen Tracks zurücknimmt und ursprünglich Othons erster selbst gemastererter, gemischter und aufgenommener Song war. „Puca Puca“, mit dem der zweite Teil eröffnet wird, kombiniert nach staubiger Wüste klingendes Gitarrenspiel mit schleppender Elektronik und dem Gesang von Javier Arevalo Shahuano und Jessica Ramirez Seopa, die auch den Abschlusstrack „Tayti“ interpretieren. Das erinnert dann teilweise schon an das, was man gemeinhin wenig glücklich als Ethnomusik bezeichnet und man kann fast den Geruch von Räucherstäbchen in seiner Nase spüren. „Pasha Dume“ ist dann das vielleicht rituellst klingende Stück. „Fly“ beginnt mit dem unbegleiteten Gesang Rita Belos, bevor harsche Beats einsetzen. Auch hier führt der Weg bis (weit) ins All: „Your heart will show the way/To the sun/To the moon/The stars behind the skies“. „Cobra Coral“, eine Hymne der synkretistischen Umbandareligion, singt Marc Almond, der ebenso wie Tomasini auf bisher jedem Album von Othomn mitgewirkt hat.

„Pineal“ beweist Othons Wunsch nach (Weiter-)Entwicklung, er wollte kein zweites „Impermanence“ einspielen. Thematisch ist das Album vielleicht gar nicht wo weit weg von den Vorgängern, musikalisch ist es bewusst vielstimmig (und das lässt sich natürlich durchaus mehrdeutig lesen).

(M.G.)

Label: SFE