LAST DOMINION LOST: Towers of Silence

Als das Album „The Tyranny of Distance“, das ursprünglich 1992 entstandenes Material enthielt, 2004 auf Tesco veröffentlicht wurde, war das für diejenigen, die sich für (Post-)Industrial interessierten, schon gewisser Beachtung wert, schließlich waren neben Jon Evans noch zwei Musiker beteiligt, die ein wenig (John Murphy) und sehr stark (Dominic Guerin unter dem Pseudonym Tone Generator) bei SPK mitgewirkt hatten. Das Material hatte dann auch durchaus einen rumpeligen Old School-Charme; dabei muss man ehrlicherweise sagen, dass es sich nicht um eine Band im eigentlichen Sinne handelte, denn es gab keine Pläne das Projekt weiter zu verfolgen und auch der Name wurde erst nachträglich gewählt.

In den vergangenen Jahren – sowohl John Murphy als auch Jon Evans sind mittlerweile beide in Berlin ansässig – gab es allerdings vereinzelt Samplerbeiträge und ein paar Auftritte und man hatte den Eindruck, dass Last Dominion Lost, zu denen inzwischen auch Julian Percy an der Gitarre gehört, tatsächlich ein lebendiges und aktives Projekt geworden sind. Insofern ist es vielleicht nur bedingt falsch, wenn man das nach einem Ort, an dem die Parsen in Mumbai ihre Toten bestatten benannte Album als das eigentliche Debüt bezeichnet, das – und das wird mit jeden Ton deutlich – nicht das Resultat einiger weniger Sessions ist.

Auch wenn „Stagma“ das Album rabiat eröffnet, man markerschütterndes Gebrüll hört, das von Metallschlägen und fiesen Analogsynthspuren untermalt wird, so wird schon hier deutlich, dass Last Dominion Lost einen transparenten Klang schätzen, keinen Soundbrei, der vielleicht kurzfristig dem Hörer die Ohren zum Klingen bringt, dessen Effektivität sich aber schnell abnutzt. Die darauf folgenden Stücke sind dann auch oftmals zurückhaltender, weitaus weniger brachial. „Sektor F“ – einer von drei Tracks, auf denen der australische Experimentalmusiker Ash Wednesday, der die Einstürzenden Neubauten live unterstützt, an den Synths sitzt – ist etwas reduzierter, die Elektronik pulsiert, es schabt und hallt, man hört eine verzerrte Stimme, aber ohne dass es zur Eruption kommt. Auf „S.E.A.T.O.“ sind die Vocals unverzerrt, deklamierend, ganz so, als spreche ein dementer Prediger, während es im Hintergrund scheppert und vereinzelte perkussive Schläge zu hören sind. „Caesium Sunrise“ ist ein äußerst unangenehmes Stück, auf dem eine verlangsamte Stimme von sägenden Geräuschen untermalt wird und man als Hörer weiß, dass einen natürlich nichts Gutes erwartet, sollte man diesen Sonnenaufgang erleben (wollen). Auf „Kavum“ wird die Tonaufnahme eines Opfers von Gary Heidnik, dessen Geschichte an Joseph Fritzl oder Ariel Castro denken lässt, ins Zentrum gesetzt. Das Stück ist rein klanglich betrachtet äußerst effektiv, lässt einen wirklich erschau(d)ern. Mein einziger Einwand ist, dass das natürlich nicht unbedingt die originellste Strategie ist, um Unbehagen auszudrücken. Auf „Hexatom“ und „Chlorpromazine“ hört man Stimmen (auf letzterem die von Till Brüggemann von Gerechtigkeitsliga), es lässt sich eine von John Murphy gespielte Shenai erahnen. Das ist Musik als Be-Drohung. „Chöd Ritual“ (auf eine aus dem tibetischen Buddhismus stammende Technik verweisend, bei der es darum geht, sich von all dem zu lösen, was einen an die materielle Welt bindet, oftmals dadurch, dass man sich der Angst aussetzt, z.B. an Orten wie Friedhöfen). Dieses Stück hat dann auch durch den Einsatz tribaler Perkussion einen stärker rituellen Charakter. „Minol“ ist ein nach Fabrikhalle klingender Track, während „Towers of Silence“ das Album leicht rituell ausklingen lässt.

Was Last Dominion Lost auf „Towers of Silence“ machen, steht in einer Tradition unheilschwangerer Musik, die – wenn man im Industrialkontext bleibt – mit dem die gesamte zweite Seite des Throbbing Gristle-Debüts ausmachenden Soundtrack „After Cease to Exist“ begann, auf SPKs zweitem Album partiell weitergführt wurde und heute vielleicht am ehesten bei der dystopischen Musik von Demons oder Nate Youngs „Regression“-Projekten zu finden ist. In einem Genre, das allzu oft klanglich wenig differenziert ist, stechen Last Dominion Lost mit einem von James Plotkin gemasterten Album hervor, das zeigt, dass Industrial auch im Jahre 2014 noch Relevanz haben kann. (M.G.)

Label: The Epicurean, Silken Tofu