JOHN CARPENTER: Lost Themes

Sieht man von Bernard Herrmanns – ein Filmkomponist, den John Carpenter in einem Interview einmal als wichtige Inspiration angab – atonalen Violinen für die Duschszene in Psycho ab, so ist die Halloweentitelmelodie im 5/4-Takt vielleicht das bekannteste Stück Musik, das je einen Horrofilm untermalte. Nur wenige Töne genügen, um vor dem geistigen Auge des Zuhörers die Captain Kirk nachempfundene Maske, unter der Michael Myers sein Gesicht verbirgt, erscheinen zu lassen. Ursprünglich mag die Tatsasche, dass der Regisseur seine eigenen Filme scorte, finanziellen Gründen geschuldet gewesen sein („I usually score my films because I’m the fastest and the cheapest.“, bemerkte er einmal lapidar). Dabei lag Carpenters Stärke oftmals in der Reduktion: Gerade die minimalistischen elektronischen Scores, die er für seine so genannten „Belagerungsfilme“ (Steve Smith) Assault on Precinct 13, Halloween, The Fog , The Thing (zwar mit einem Soundtrack von Ennio Morricone, auf dem klingt dieser aber, als wolle er Carpenter imitieren) -man könnte auch noch den etwas später entstandenen Prince of Darkness  hinzufügen -zeigen, wie man mit geringen Mitteln und den Variationen eines Titelthemas unglaublich effektiv sein kann. Wenn Carpenter sagt, dass Rock ‘n’ Roll ein Teil seiner musikalischen Sprache sei, die von Riffs geprägt sei, dann spiegelt sich das z.B. in seiner Zusammenarbeit mit Dave Davies von den Kinks für das Remake von Village of the Damned und die metafiktionale Lovecrafthommage In the Mouth of Madness wider, der sein vielleicht letzter halbwegs guter Film war. Man decke den Mantel des Schweigens über “Marilyn Manson-Klon in Kiesgrube” (vulgo: Ghosts of Mars).

Hatten in den letzten Jahren die famosen Death Waltz Records (die gerade offenbar eine Umstrukturierung durchmachen) einige von Carpenters Soundtracks wiederveröffentlicht, so enthält das Album „Lost Themes“ keine alten, unveröffentlichten oder nicht verwendeten Stücke, sondern vielmehr welche, die eigens für das Album komponiert wurden;  Musik, die also nicht (mehr) (als „secondary narrative“) zur Untermalung von Bildern dient, sondern vielmehr Bilder im Kopf der Zuhörenden erzeugen soll. Carpenter schreibt, dass er somit völlig ohne Druck habe arbeiten können, es sei um „Spaß“ gegangen und außerdem hätten ihn die neuen digitalen Möglichkeiten gereizt:  „The plan was to make my music more complete and fuller, because we had unlimited tracks. I wasn’t dealing with just analogue anymore. It’s a brand new world.“

Mit einer Titelgebug, die an Lustmord erinnert, lässt Carpenter tatsächlich Bilder entstehen, denn fast unwillkürlich kommen Assoziationen auf:. Der treibende Opener „Vortex“ ist klar in den 80ern situiert, Snake Plissken scheint auf seinen Auftritt zu warten. „Mystery“ beginnt unheimlich-bedrohlich, man glaubt, man säße in einem Leuchtturn in Bodega Bay (fest), „Night“ versetzt einen in eine belagerte Polizeistation. „Domain“ beginnt mit unheimlichen Klavierpassagen, um dann aber ein paar wirklich garstige Gitarrenriffs einzusetzen, die so cheesy klingen, dass jedwede Atmosphäre zerstört wird und man eher den Eindruck hat, hier habe Carpenter die Themenmusik für eine Sitcom schreiben wollen. Stärker ist da das von melancholischen Klavierfiguren geprägte “Purgatory”, bei dem es klingt, als sei ein echtes Schlagzeug zum Einsatz gekommen. Das Album hat also durchaus Retrocharakter, die Stücke sind aber bis auf wenige Ausnahmen stark genug, um ohne Bilder zu funktionieren, auch wenn ich glaube, dass das Album zwar weniger “voller” geklungen hätte, wenn man auf die Gitarren verzichtet hätte, für die sich sein Sohn Cody und Daniel Davies verantwortlich zeigen, dies aber insgesamt der Atmosphäre zuträglicher gewesen wäre. (M.G.)

Label: Sacred Bones