FRODE HALTLI: Vagabonde Blu

Nichts würde dem Norweger Frode Haltli wohl ferner liegen, als sein gleichzeitiges Interesse an traditionellem Folk und an zeitgenössischer Kunstmusik als Spagat oder gar Doppelexistenz zu betrachten, bewegt er sich doch mit Vorliebe in den Randgebieten musikalischer Regionen, in denen alle Überbegriffe obsolet sind. Sein Instrument ist das Akkordeon, das er in Projekten und Ensembles spielt sowie an einer Musikhochschule unterrichtet. Seit Jahren tritt er unter seinem bürgerlichen Namen auf, und das live vor Publikum eingespielte “Vagabonde Blu” gilt nun als sein erstes Soloalbum. Doch genau genommen stimmt auch das nicht so ganz.

Es gibt auf “Vagabonde Blu” einen zweiten Protagonisten, und damit ist nicht etwa einer der drei Komponisten Salvatore Sciarrino, Arne Nordheim und Aldo Clementi gemeint, von denen er je ein Stück interpretiert, sondern der Raum, das “Tomba Emmanuelle” genannte und 1926 für sich selbst entworfene Mausoleum des Künstlers Emanuel Vigeland. Das in Oslo gelegene Gebäude, in dem schon Diamanda Galas aufgetreten ist, verfügt über eine von so enormem Hall und Delayeffekten geprägte Akustik, dass selbst die kleinsten Details der Aufführung oder auch unvorhergesehene Geräusche ein unkontrolliertes Eigenleben entwickeln.

Das titelgebende Stück stammt aus der Partitur des Sizilianers Salvatore Sciarrino und ist eine wellenartige Feier von Gegensätzen, bei denen in konstanten Intervallen Heterogenes aufeinandertrifft, ohne es je zu einem einlullenden Effekt kommen zu lassen. Plötzliche Geräusche wie ein aus einer Fabrik herübergewehter Lärm, der wahrschenilich so etwas geringem wie Schritten oder Räuspern entstammt, verleihen dem Stück ein verqueres Narrativ, bei dem das gleichförmig tönende Akkordeon eher als Kulisse dient, statt Harmonie zu stiften.

“Flashing” aus der Feder Arne Nordheims erinnert streckenweise an einen Stummfilmscore, bis sich ebenfalls Sounds zu kleinen Detonationen verselbständigen, auf die das strömende Akkordeon wie ein griechischer Chor reagiert. Die anfangs ausbleibende sanfte Regression stellt sich jedoch mit dem von Aldo Clementi (nicht zu verwechseln mit dem bekannten Musikjournalisten Aldo Chimenti) als Schlaflied konzipierten “Ein kleines…” ein. Verlangsamt sich gegen Ende das Tempo der Intervalle mehr und mehr, sieht man sich einem versöhnlichen Schluss gegenüber. Was bleibt ist das völlig verzauberte Klangbild, bei dem der Raum wie ein Prisma Formen und Größenverhältnisse aus ihren natürlichen Beschränkungen herauslöst. (U.S.)

Label: Hubro