FATHER MURPHY: Croce

In unserem Interview kündigten Father Murphy bereits vor einem knappen Jahr ihr neues Album “Croce” an und erwähnten, dass sie sich – trotz ihrer ansonsten englischsprachigen Texte – für den Titel entschieden hatten, weil er im Italienischen wesentlich kantiger klingt als das vergleichsweise softe englische “Cross”. Das war schon deshalb eine treffende Wahl, da auch die Musik rau und kantig klingt, genau so, wie man es von dem Duo aus Veneto, das eine düstere Form des Noiserock spielt, auch erwartet. Doch er ist auch eine gute Wahl wegen seines Symbolgehalts. Wenn Federico und Chiara als Father Murphy ihre verzweifelten und zugleich heroischen Schreie in die Welt schleudern und von Suche und Verlorenheit künden, so ist die ambivalente Auseinandersetzung mit ihrem katholischen Erbe stets präsent, auch dann, wenn sich das indirekt und im Hintergrund abspielt. Manchmal reichen bestimmte Begriffe und symbolbelandene Geräusche, um eine Stimmung zu konnotieren, die ohne diese Kulisse eine ganz andere Färbung hätte.

Filtert man “Croce” durch diese Zerrissenheit, dann erscheinen weite Teile des Albums wie eine zeitgenössische Version der “dark night of the soul”, und das gleich von der ersten Sekunde an: Wie eine Performance, die unmittelbar nach dem plötzlichen Fall des Vorhangs beginnt, wirft einen “Blood Is Thicker Than Water” gleich in die Mitte des stakkatohaften Geschehens, in dem die beiden ihre heroisch-zynischen Stimmen im Chor erschallen lassen, untermalt von sägenden, grobkörnigen Noisegitarren. Chiaras beschwörender Gesang steht mehr denn je im Zentrum, in “A Purpose” ergänzt Federico sie mit unheimlichen, gutturalen Stimmen, und letztlich ist es v.a. das Hypnotische, das die insgesamt doch eher schwierige Musik zugänglich macht.

Saitenschnarren, metallenes Gerassel und finstere Bläsersounds erinnern in manchen Tracks an ihre eher soundscapige EP mit Veronica Azzinari und unterstreichen die okkulte Atmosphäre, die der Band seit jeher nachgesagt wird, und es ist schon bezeichnend, dass die erste harmonischere Stelle dann eintritt, wenn Chiaras zombifiziert wiederholte Frage “Can you take it?” in ein fatales “You can take it!” überleitet. Aber es ist nicht die einzige freundliche Lichtung, denn v.a. die zweite Seite macht klar, dass das christliche Symbol um Schuld, Opfer und Erlösung für Father Murphy nicht nur Anlass zur Schwarzmalerei und zum Suhlen in Absurdität ist. Song für Song verschwindet immer mehr das Hysterische, Desperate aus der Musik, stellenweise streifen die hinteren Stücke beinahe so etwas wie Pop, und das finale “They won’t hurt you” klingt fast wie eine furiose Feier des Lichtes am Ende eines Tunnels. Das mutet teleologisch an, was durchaus beabsichtigt sein kann.

Und so ist “Croce” tatsächlich ein christliches Album, das eine von Leid und Schmerz erfüllte Heilsgeschichte subjektiv inszeniert und rituell durchlebt? Ich möchte soweit nicht gehen, denn Father Murphy sind ein weiteres mal viel zu abstrakt und unberechenbar, um irgendwem etwas vorzukauen oder gar zu predigen, nach wie vor schneiden sie Themen bloß an und lassen eine großartig inszenierte Atmosphäre für sich sprechen. Und auch das Zerrissene wäre mit einer solchen Eindeutigkeit nicht unter einen Hut zu bringen, sie wären nicht mehr Father Murphy, gäben sie es auf. (U.S.)

Label: The Flenser