Dass der Regisseur und Autor Pasolini so unterschiedliche Fans hat und einen Rattenschwanz an verschiedensten Interpretationen und Vereinnahmungen hinter sich herzieht, ist sicher auch seiner eigenen schwer greifbaren Position geschuldet. Dass er zugleich Katholik, Kommunist und bekennender Schwuler war, ist meist das erste, was man über ihn hört, doch auch jede dieser drei Eigenschaften für sich verkörperte er auf jeweils untypische Art. So bekannte er sich auch nach seinem Parteiaustritt – er wurde wegen seiner Homosexualität geschasst – zu kommunistischen Ideen, gleichwohl seine konkreten Ansichten eher kommunitaristisch oder anarchistisch anmuteten, wenn sie nicht ohnehin eher der katholischen Soziallehre ähnelten. Sein Katholizismus war volksnah und bodenständig, traditionell und ohne jeden elitären Pomp. All dies und weitere Ambiguitäten schlugen sich auch in seinen Filmen nieder, die hoch stilisiert waren und mit ihren Laiendarstellern und den schlichten, neorealistischen Bildern zugleich die unprätentiöse Hand der Improvisateurs verraten. Vollkommen erwartbar also, dass sein Vermächtnis die unterschiedlichsten Menschen anspricht und so manches nachträglich gezeichnete Pasolinibild Konturen aufweist, die sich einer allenfalls ausschnittweisen Betrachtung seines Werks verdanken.
Schon recht früh zeigten sich auch Musiker von Pasolinis Werk und Person inspiriert, und neben Scott Walkers „Farmer in the City“ und Diamanda Galas’ „Supplicia di mia Madre“ (beides Gedichtvertonungen) ist Coils „Ostia“, das die vorliegende Compilation eröffnet, sicher eines der prominentesten Beispiele. In dem Song vom morbid-apokalyptischen „Horse Rotorvator“-Album vergegenwärtigen sie den Tod des Regisseurs in mysteriösen Sprachbildern und verpassen dem Ereignis ein musikalisches Gewand, das kaum einem Genre nahe kommt und wohl am besten als cinematich bezeichnet werden kann. Folk und Chanson, die vage anklingen, finden sich deutlicher in dem melodramatischen Song von Spiritual Front, womit die songorientierten Beiträge – es sei denn, man subsumiert In Slaughter Natives’ auf Cembalo und Grummeldröhnen aufgebautes Duett noch darunter – auch schon genannt wären. Alles weitere ist wesentlich sperriger und abstrakter.
Viele der Beiträge, die außer „Ostia“ wohl selten älter sind als die Idee zu diesem Sampler, bauen ihre thematischen Referenzen auf Samples aus Filmen oder aus den zahlreichen kontroversen Interviews des Regisseurs auf. Einen Höhepunkt dessen stellt das subtile Ambientstück von Alio Die dar, das in gewohnt ethnolastiger Manier gestrickt ist. Fast gegensätzlich dazu die ebenfalls ambienten Bahntier, die einen monströsen elektronischen Track um eine emotionsgeladene Interviewpassage aufbauen, die in puncto Intensität nur noch vom noisigen Wertham-Stück überboten wird. Black Sun Productions schlagen (auch hier) thematisch die Brücke zu Coil und liefern mit dem ethnokulturell untermalten Text über den Mordfall eines der ergreifendsten Stücke ab. Bei einigen Stücken wie dem martialisch anmutenden „Dresden“ von Nueva Germania erschließt sich mir der Bezug kaum, wohingegen Teatro Satanico mit technoidem Geblubber und erst recht Catholic Boys in Heavy Leather (Joke Lanz und Roger Rotor) mit launigem Rhythm Noise für Kurzweil sorgen.
Soweit so gut, und rein musikalisch könnte man es – trotz einiger Qualitätsunterschiede – bei einem Lob belassen. Dennoch könnten die Bezüge zu Leben und Werk Pasolinis etwas ausgewogener sein, und um das festzustellen, muss man nicht – wie in Italien wohl mehrfach geschehen – spekulieren, dass dem Regisseur die Musik, die es zu seinen Lebzeiten auch kaum so gab, nicht gefallen hätte. Es ist nicht so, dass die Beitragenden ein total einseitiges Pasolinibild zeichnen würden, und doch gibt es hier eine gewisse Schlagseite auf dem Image eines transgressiven, queeren Provokateurs, und der Fokus scheint mir insgesamt doch so stark einerseits auf den Todesumständen, andererseits auf den „120 Tagen von Sodom“, also seinem letzten, eher utypischen Film, zu liegen, dass Ah Cama-Sotz’ feinziselierte Referenz auf die „Erotischen Geschichten aus Tausendundeiner Nacht“ schon positiv herausstechen.
Pasolini war ein leidenschaftlicher Stilist und hatte ein gutes Händchen für ungewöhnliche choreografische Arrangements und entsprechende Bühnenbilder. Zugleich war er aber auch aus Überzeugung unstylisch und das Gegenteil eines manirierten Snob. Die barfüßigen, sonnengebräunten und (wenn männlich) unrasierten Gestalten, die trotz ihrer Staubigkeit eine jugendliche Vitalität und Lebensfreude ausstrahlen, sind ebenso sehr sein Markenzeichen wie all die bodenständigen Szenarien, die v.a. deshalb kein Idyll waren, weil ihnen jegliche Glättung fehlte. Pasolini hatte eine große Achtung für maginalisierte Gemeinschaften weit jenseits dessen, was man „queer“ nennt, für „einfache“ Menschen der unteren Gesellschaftsschichten und für unterdrückte Völker der Dritten Welt, denen er viele antiimperialistisch intendierte Texte widmete. Jedes popkulturelle Spektakel hätte ihm vielzusehr nach Konsum gerochen, und seinen homoerotisch in Szene gesetzten Jungen von der Straße würde heute im Berghain wahrscheinlich der Einlass verweigert werden. Nicht zuletzt spielten Frauen in seinem Werk eine überragende Rolle und waren in drei Fällen Titelheldinnen. All diese Dinge kommen hier entweder gar nicht oder nur am Rande vor. (U.S.)
Label: Rustblade