Jüngst noch vom Observer als „one of 2014’s least likely success stories” tituliert, so haben die Sleaford Mods es tatsächlich seit der Veröffentlichung ihres letzten Albums „Divide and Exit“ in nahezu jedes Presseerzeugnis geschafft: Von Zeit bis TV Spielfilm preist man das Duo als – so lautet das gäng(st)ige Narrativ – diejenigen, die den gegenwärtigen Zustand der „sceptered isle“ am genauesten sezieren. Inzwischen haben die Sleaford Mods sogar Glastonbury gespielt (auch wenn es offenbar nicht sehr viel Spaß gemacht hat). Der Opener „Live Tonight“ mit seinem Chor aus grölenden Fans wie auch der Titel scheinen den jüngsten Erfolg zu ironisieren.
Selbst die konservative bürgerliche Presse Großbritanniens lobt „Key Markets“, das neue, je nach Zählweise, vierte oder achte Album: fünf Sterne in der Times, vier im Telegraph, jedoch zum Teil auf eine so herablassend-gönnerhafte Weise, dass man in bester Williamson-Diktion „bunch of cunts“ – mit diesem lapidar betitelten Track eröffneten die Sleaford Mods ihr Konzert in Köln – rufen möchte.
Es ist schon öfter angesprochen worden, dass Jason Williamson gegen alles und jeden zu wettern scheint: Dumpfe Nationalisten bekamen ebenso wie Frühstückscerealien wie Weetabix schon ihr Fett weg. Auf dem neuen Album wird Boris Johnson zum Objekt des Spotts, aber eben auch Toblerone, Nick Clegg („Nick Clegg wants another chance, really/ this daylight robbery is now so fucking hateful/it’s accepted by the vast majoroty“ heißt es auf „Face to Faces“) genauso wie Höschen von Victoria’s Secret (“The Blob”), Ed Milliband, aber ebenfalls der Cinema Club. Das mag zwar den einen oder anderen den Vorwurf machen lassen, Williamson verzettele sich, aber in einem Land, in dem die Klassengegensätze und -schranken in einem enormen Maße bestehen, in dem die Tories (noch) weitere Einschnitte in das Sozialsystem planen und in dem der Celebritykult.völlig hypertroph ist, ist das vielleicht einfach nur adäquat. Es ist auch einfach nur schön zu sehen, dass man noch in seinen 40ern wütend sein kann (oder muss) und es kein Privileg der Jugend ist. Zudem: Wer jemals miterlebt hat, wie vermeintlich konstruktive Problemlösungsstrategien jedwede Verhaltensunterschiede plattwalzen und Euphemismen das Tatsächliche verdecken, der freut sich über jedes four-letter word auf dieser Platte. Natürlich muss man nicht, aber man kann durchaus über den üblichen Fäkalhumor lachen: Die Wortspiele „all gone quiet on the wanker front“ oder „a room with a poo“ finden sich etwa auf „Bronx in a Six“. Auch das zunehmend Assoziative der Lyrics und die nicht immer zu dekodierenden Allusionen (Williamsons Entwicklung als Texter lässt sich gut auf der Zusammenstellung „Grammar Wanker“ nachvollziehen) sind eine Freude: „you always wannabe the same/, posy shit and leather jacket / motorbikes from the 50s/you live in carlton you twat/you’re not snake fucking plissken“ („Cunt make it up“).
Obwohl es durchaus kleine stilistische Entwicklungen gibt ( „Silly Me“ weist Ansätze von Dub auf, „Rupert Trousers“ ist eine schleppend-minimalistische Nummer), so erkennt man einen Sleaford Mods-Track innerhalb weniger Sekunden und das ist auch gut so. Letztlich ist die Frage, ob die relativ eingeschränkten musikalischen Mittel (wobei Andrew Fearn ganz sicher mehr als nur ein „rudimentäres Verständnis“ von Musik hat) tragfähig sind, auf mehr als zwei, drei Alben funktionieren, auch obsolet, denn man wird immer wieder aufs Neue von der Wut und Wucht dieser Band mitgerissen. (M.G.)
Label: Harbinger Sound