DER BLUTHARSCH AND THE INFINITE CHURCH OF THE LEADING HAND: Joyride

Dass die Musik von Albin Julius seit den 90ern große Veränderungen durchlaufen hat, ist ein Gemeinplatz und sollte sich mittlerweile bis in die letzten Winkel der etwas eigenwilligeren Musikwelten herumgesprochen haben. Noch interessanter vielleicht ist die Tatsache, dass die Entwicklung von Der Blutharsch And The Infinite Church Of The Leading Hand auch im Kleinen, z.B. von einem Album zum nächsten, kaum vorherzusehen ist und stets Überraschungen bereithält. „Joyride“ folgt – abgesehen von einer Compilation und zwei EPs – auf das vor gut anderthalb Jahren erschienene „The Cosmic Trigger“, und auch wenn der undefinierbare psychedelische Genremix nach wie vor besteht, könnten die beiden Platten kaum unterschiedlicher sein.

Knapp auf den Punkt gebracht reduziert „Joyride“ die schon im Titel von „The Cosmic Trigger“ angedeutete Weite auf’s wesentliche und gestaltet ich strukturell und auch klanglich oft derart aufgeräumt und konzentriert, dass man sich fast wundern mag, dass Albin, Marthynna und Jörg auch diesmal von einer ganze Bande an Mitstreitern – u.a. Matt Howden, Alan Trench und Mitglieder von Changes und Seven That Spells – unterstützt werden. Auf die kosmische Ganzheit folgt ein kurzer, wenn auch nicht ganz folgenloser Trip durch gefahrvolles, aber irdisches Gelände.

Die markanteste Veränderung liegt im Gesang, denn der stammt (backing vocals ausgenommen) erstmals ausschließlich von Marthynna, was sicher einige Schlaumeier auf Moon Lay Hidden-Vergleiche bringen wird. Ihrem diesmal klar nach vorn gemischten Gesang allerdings ist es zu verdanken, dass die Stimmung des Albums – ob mit Absicht oder nicht – ausgesprochen ambivalent und spannungsreich geraten ist. Marthynnas Vocals stimmen einen durchweg kühlen und reservierten Ton an, kommen über viele Strecken nah an Sprechgesang und schlagen automatisch eine für die Invisible Church heute eher untypische Brücke zum Post Industrial mit seinen knapp bemessenen Gesten und grimmigen Blicken. Ambivalent und spannungsreich wirkt sich das deswegen aus, weil der eher ausdrucksreduzierte Gesang ziemlich klar mit der krautig-hippiesken Musik und den durchgehend auf Grenzüberschreitung abzielenden Texten kontrastiert. Bei der noch wesentlich ausladenderen Klanggestalt der letztjährigen Releases hätte dies vermutlich kaum funktioniert

„Drive me far“ beginnt ohne Umschweife, wabernde Synthies und ein wummernder Bass, der über weite Strecken des Albums den Rhythmus nur andeutet, lassen die Fahrt gleich im easy tempo beginnen. Das Ziel ist ungewiss, und diese Unsicherheit des Erkundens von neuem Terrain scheint das eigentliche Thema des Albums zu sein. Schon hier scheint der eher coole Gesang zu implizieren, dass Grenzen, auch wenn man sie überschreiten will, zunächst einmal Statik erzeugen und dass die größten Träume von Freiheit bekanntlich in Ketten geträumt werden. Erst mit der Zeit gerät die Musik ornamentaler und tremolierende Wahwahs, die für Momente an Stimmen erinnern, wirken der Übersichtlichkeit entgegen.

Der große Ausbruch ist auf „Joyride“ kein romantisches Idyll und auf keinem der Stücke führt die Reise in die heile Welt. Viel zu aufwühlend und unterschwellig aggressiv mutet das knarzige „Falling out of Time“ an, viel zu hardboiled klingen die Gitarren und der schwüle Groove in „Cold Freedom“, bei dem man Howdens Violige erstmals deutlich heraushört. Stets fragt man sich, ob die Überschreitung und der Schrei nach Freiheit nicht doch nur ein scheuer Tagtraum ist, der sich ebenso sehr als Alptraum entpuppen könnte, zu sehr durchzieht ein düsterer Grundtenor die Stücke. „Innocent“ könnte glatt ein martialisches Stück aus alten Blutharsch-Tagen sein, neu eingespielt im neuen Sound der Chruch. Dann gibt es Songs, die fast so etwas wie eine klare Ansage vermitteln: Denk nicht zu viel, handle, mit deiner verbummelten Passivität taugst du bestens zum psychischen Vampir, oder schlimmer noch – zu einem Opfer der „Mighty Might“, wie es im gleichnamigen Stück heißt, während der kauzige Takt rumpelnd das Weite sucht.

„Joyride“ ist wie gesagt kompakter und aufgeräumter als andere Releases der Infinite Church und verzichtet auf vielschichtige Panoramas und ein großes Aufgebot an Gastsängern. Letztlich bleibt es Geschmackssache, welche Version man lieber mag, doch dass die aktuelle Version auf Albumlänge kurzweilig bleibt, sollte man anerkennen. Und spannend bleibt es allemal.

Label: WKN