FEE REEGA / TOBIO LOTTO: Shoot

Ich weiß nicht, ob das Küchenpsychologie ist, aber es gibt die Vorstellung, dass man jemanden entweder vögeln oder töten will, wenn man ihm oder ihr länger als sechs Sekunden in die Augen sieht ohne dabei zu blinzeln. Ja, zwischen Gewalt und Dingen, die mit Liebe zu tun haben, gibt es bei genauerem Hinsehen etliche Gemeinsamtkeiten, ganz zu schweigen davon, dass das eine in das andere kippen kann. Aber da ich bei Fee Reega seltsamerweise immer auf Psychothemen kommen, breche ich hier gleich ab und stelle ganz brav ihr neues (angeblich Mini-)Album vor, dass sie diesmal zusammen mit Tobio Lotto in Spanien und Frankreich eingespielt hat. Es enthält ganze elf erstmals nur auf Englisch gesungene Stücke, die die beiden als badass love letters bezeichnen, und in ihnen wird gekillt und geliebt und geschmachtet, was da Zeug hält, und am Ende jedes Tracks ertönt ein immer lauter werdender Schuss.

Fees Musik hat in den letzten Jahren an Variationsbreite stark zugenommen, enthält folkige, rockige, cabaretartige Elemente und einiges mehr, und die in ihrer Stimungslage sehr unterschiedlichen Songs leben auch von den vielen Schichten ihrer klanglichen Gestalt. Unter der Voraussetzung kann man die Musik auch ab und zu mal wieder auf’s Wesentliche herunterfahren, ohne immer genau gleich zu klingen, und so zeigt “Shoot” ihren Stil von einer ganz neuen, minimalistischen Seite. Allerdings ist “Shoot” keine reine Fee-Platte, und ich tu mich bisschen schwer zu entscheiden, ob es sich nun um eine Kollaboration oder ein Split handelt. Der zweite Protagonist jedenfalls ist der mir bislang unbekannte Tobio Lotto, laut Recherche bisher tätig bei Les Grys-Grys, der wildesten R&B-Band in Frankreich.

Auf den ersten acht Songs ist ausschließlich Fees Stimme zu hören, eventuell hört man Tobio Lottos Gitarre gelegentlich, ansonsten sind die auf akustischem finger style basierenden Stücke sehr minimal gehalten und soundmäßig von der schwülen Dumpfheit eines abgeklärten Blues. Stimmungsmäßig dominiert dabei ein cooler, auf harboiled getrimmt melancholischer Laidback-Ton, den man so von der Sängerin nur in Ansätzen kannte. Gesanglich tremoliert sie weit weniger als bisher, zieht ein grummeliges Nuscheln vor, das vorzüglich zum verwegenen “Music for gangsters and lovers”-Thema passt. Trotzdem merkt man an allen Ecken, dass man sich nach wie vor in ihrer altbekannten Freakshow befindet, von den Geschichten über Axtmörder und Killerpärchen bis zu ihrer Lust, sich wie in “Motherfucker” drehwurmartig an schier endlos wiederholten Zeilen aufzuhängen. Und überhaupt, die paradoxe Selbstentblößung im Rollenspiel – auch in der Hinsicht alles beim alten.

Ich will keinen Hehl aus meinen Lieblingssongs machen. Da wäre zum einen “Two Lost Bullets”, eine melodisch berührende Allegorie auf zwei desillusionierte Drifter, die der Zufall doch zusammenbrachte wie zwei aus der Bahn geratene Kugeln, die irgendwann gegeneinander knallen – “you exploded in my life and there you are/and now your splinters stay in my flesh forever” heißt es an zentraler Stelle. Dann wäre da “We shot the world down”, ein ins Apokalyptische ausgeweiteter evil love song und zuzguterletzt das fast neunminütige “Don’t disrespect the Pizza Parlour”. “With the shotgun I shot my loneliness/ whith the big knife I killed the mess in my head/ with the small knife I carved my name in your chest/ with the pistol I used to bring death to my sadness” verkündet die Sprecherin, die nur gestohlene Geschenke von ihrem Lover akzeptiert, u.a. zum Valentinstag die Knarren, die man auf den Cover sieht. Nicht nur hier geht es mehr noch um Tragik als um launige Abenteuer.

Für die letzten drei Stücke betritt Tobio Lotto den vorderen Bühnenrand, das Licht wird herunter gedreht, der Spot greller, alles mutet vollends schwarzweiß an und man glaubt eine hybride Kreuzung aus Lou Reed, Link Wray und Bain Wolfkind vor sich zu haben. “Shiny Black Piece of Steel” ist ein zombiefizierter Bluessong, vorgetragen mit zünftiger Whiskey- und Tobakstimme, im Rockabilly-Sound geht die schwüle Verruchtheit über in “Slated for Crashville” und kulminiert im Uptempo der finalen Räuberpistole “She’s a Stand Up Guy” – auch bei Tobio haben die Frauen die stärkeren Nerven, wie es aussieht.

Tolles Album, das allerdings eine gewisse Durchmischung der Stilanteile – Gesang, Sound, Spielweise – vertragen hätte, denn so wirkt Tobios Schlussrunde ein bisschen wie ein Bonus. Insgesamt ideal zum gemeinsam Ausbüchsen und keine Gefangene machen. Limitierte handgemachte Pappbox wie immer direkt beim Label. (U.S.)

Label: Woodland Recordings