THE EX: At Bimhuis (1991-2015)

Die Engländer würden es zwar nie zugeben, aber insgeheim wurmt es sie, dass sie nicht The Ex hervorgebracht haben, eine Ende der 70er entstandene Punkband aus den Niederlanden, die sich kaum hinter den eigenen Exponenten mit dem Label “Anarcho” verstecken braucht, für die aber Punk auch nie tot sein musste – zum einen, weil sie den Begriff selbst nie so hoch hielten, zum anderen aber, weil sie ihrer Idee des Spontanen und der Revolte gerade deshalb treu geblieben sind, indem sie durch ihre immer wieder wagemutige Hinwendung zu Musikarten wie Jazz, Improv, Noiserock und nicht zuletzt vieles aus Afrika ihr Wirken in Bewegung gehalten hat – eine Revolution, die von Dauer ist. Was sie ebenfalls von vielen renommierten Punkacts unterschied, war – so philiströs das auch klingen mag – ihre Musikalität: So wenig ihnen musikalische Kategorien und herkömmliche Vorstellungen von Virtuosität bedeuteten, so sehr waren sie doch in erster Linie Musiker, Ideologie und Attitüde waren nie ihr Ziel, auch wenn letztere sich ganz automatisch aus der Markanz ihrer Arbeit ergeben sollte.

The Ex waren auch mit Leib und Seele Liveband, die auf ungezählten Konzerten in immer wieder neuen Konstellationen auftraten, was in der frühen Zeit meist mit dem lapidaren Zusatz “and Guests” abgehandelt wurde. Zu diesen Gästen zählten Leute wie Ranaldo und Moore von Sonic Youth, Experimentalmusiker wie der Klarinettist Xavier Charles und in späteren Jahren äthiopische Musiker wie die gerade sehr aktive Band Fendika. Der Ort, an dem einige der legendärsten The Ex-Konzerte stattfanden, war der Amsterdamer Jazzclub “Bimhuis”, und zur Feier der langjährigen Zusammenarbeit haben die aktuellen Mitglieder gerade eine Sammlung an Mitschnitten aus der Zeit ab 1991 auf dem hauseigenen Label herausgebracht.

Auf der ersten Scheibe sind Mitschnitte aus den frühen 90ern zu hören, als die Jahre in den lokalen Squads noch nicht so lange zurück lagen und das Punkfeeling auch musikalisch noch offenkundiger ist. Schon diese Aufnahmen, die noch sehr von Andy Moors Gitarrengeschruppe geprägt waren, weisen durch einen anderen Schwerpunkt, die ekstatische Perkussivität, auf die spätere Begeisterung für rhyhtmische Musik anderer Kontinente hin: Schon im ersten und hier ältesten Stück mischt sich das Geklöppel von Handdrums zwischen die treibenden Punkrhythmen und das aufgescheuchte Schnattern einer Trompete. Songstruktur gibt es nur für Momente, viele Rhythmen sind halsbrecherisch und weit entfernt von der Stoffeligkeit des “Four to the floor”. Sax und Trompeten versetzen einen immer wieder in eine Dada-Performance, und die Stücke, die am meisten aus dem Rahmen fallen, überlassen Gastsängerinnen das Mikro. Dazu zählen das auf deutsch gesungene “Lied der Steinklopfer” und “Invitation to Dance” – selbstredend das am wenigsten tanzbare Stück, bei dem sich eine Sopranistin gegen eine an NWW erinnernde Klangkollage behauptet.

Auch auf der zweiten Seite, deren Beiträge nach einem fast zehnjährigen Zeitsprung die Jahre 2002 bis 2015 abdecken, sind vereinzelt flächige Soundgebilde zu hören, so das mit einem Orchester (dem sogenannten Ex Orchest) eingespielte “Gronings Liedje”, aus dessen dreieinhalb Minuten mancher eine halbe Platte gemacht hätte. Ansonsten finden sich hier noch mehr treibende, teils funky angehauchte Uptemponummern, und die Bläsersektion jault noch sirenenhafter als ein Jahrzehnt zuvor.

Nach den orchestralen Stücken geht es weiter mit Aufführungen, die 2012 zusammen mit äthiopischen Musikern stattfanden. “Shellelle” ist der größte Kracher aus dieser Runde und eines der zahlreichen äthiopischen Kriegslieder, die The Ex und ihre Freunde im Repertoire haben, und die so ausgelassen und fröhlich wirken, dass man im dösigen Europa schwerlich martialische Assoziationen dabei bekommen mag. Der Schlussteil ist dann noch mal etwas heterogener, es gibt Songs mit “klarer” Message wie der launige “Bourgeois Blues”, perkussive Stücke schlagen dann die Brücke zu allen zurückliegenden Schaffensphasen. Schade, dass sich The Ex auf deutchen Bühne so rar gemacht haben – auf dieser Compilation bekommt man einen Eindruck davon, was man verpasst. (U.S.)

Label: Ex Records