ALIF: Aynama-Rtama

Man muss viel regelmäßiger Musik aus dem nordafrikanischen und vorderasiatischen Raum hören, um ein Gespür für die Poptauglichkeit des Arabischen zu bekommen. Gesungen und im Kontext einer Musik, die mit westlichen Popkategorien kompatibel ist und trotz Wurzeln in der traditionellen arabischen Musik zu unkitschig ist, um Exotismus zu befriedigen, bekommt die Sprache, die man hierzulande wohl doch meist nur im Vorbeigehen oder in politischen Nachrichten streift, einen ganz anderen Klang. Ihr für westliche Ohren oft etwas abgehackter Rhythmus entfaltet dabei eine ganz eigene Poesie. Eine Band, die sich in der Hinsichthervorragend zum Einstieg eignet, ist Alif – ein Kollektiv, dessen derzeit fünf Mitglieder in den ungleichen Musikhochburgen Kairo und Beirut leben und über deren Keyboarder Maurice Louca hier schon berichtet wurde. Mit “Aynama-Rtama” (dt. “Wo immer es hinfällt”) legt das Quartett ein Debüt vor, das ich – wenngleich vom Schwerpunkt der Instrumentierung her wesentlich traditioneller geraten als Loucas Solodebüt – als durchweg poptauglich bezeichnen würde.

Die acht Stücke auf “Aynama-Rtama” sind wie kleine Vexierbilder, denn stets beginnen sie solide und greifbar und entpuppen sich im Verlauf doch immer als Irrgärten mit vielen unberechenbaren Abzweigungen. “Holako” geht gleich zur Sache und umgeht jedes langatmige Intro. Loucas Tasten und die hypnotische Oud von ex Sunn O)))-Supporter Khyam Allami legen das Fundament für Tamer Abu Ghazalehs leidenschaftlichen Gesang, Bass und eine treibende Drumsection kommen hinzu und bauen ein stabiles Songgebilde auf, nur um es am Ende, nach einigen kleinen Detonationen, explodieren zu lassen. Ich weiß nicht, ob sein textlicher Inhalt auch so destruktiv ist, der Text aus der Feder des irakischen Dichters Sorgon Boulus jedenfalls besingt einen Hulagu – so hieß auch der Mongolenführer, der im 14. Jahrhundert Boulus Heimatstadt Baghdad und mit ihr das Abbassidenreich in Schutt und Asche legte (aus Gründen des Respekts wurde die Kalifenfamilie nicht enthauptet, man wickelte sie stattdessen in Teppiche und ließ sie von einer Herde Pferde zertrampeln, aber das nur am Rande.)

Alle Songs haben ihren eigenen Charakter, steht bei einen mehr der Rhythmus in Zentrum, so ist es bei anderen der basslastige Groove, das gekonnte Zusammenspiel von Oud und Buzuq oder die berührenden Gesangsmelodien, bei denen Abu Ghazaleh stilvoll die Vokale langzieht und an ausgewählten Stellen schon mal ins Falsett kippt. Ich bin eigentlich niemand, der darauf Wert legt, dass jeder Ton immer an der richtigen Stelle sitzt, doch hier – sei es bei den Ornamenten des Oudspiels oder beim Stimmeinsatz – beeindruckt die Präzision schon deshalb, weil sie die Musik immer wieder in die Entgrenzung führt. Mal kulminieren Songs in eruptiven Höhepunkten, in denen für Augenblicke alle Regeln suspendiert scheinen, dann wiederum gleiten die instrumentellen Muster immer mehr ins spontan Improvisierte, bei dem man einen gewissen Jazzcharakter herauszuhören meint und alles wie ein chaotisches Jam wirkt.

“Aynama-Rtama” erscheint wie “Salute the Parrot” auf Allamis eigenem Nawa-Label und kann als weiterer Botschafter einer interessanten Metropole mit einer immer ergiebigeren Alternativkultur gelten – und ist, das nicht nur nebenbei, ungemein berührend und kurzweilig zugleich. (U.S.)

Label: Nawa Recordings