STEVE VON TILL: A Life Unto Itself

Ob Drummer oder Gitarrist, jeder zweite Hardcore-Musiker, der nicht in seinen jugendlichen Gewohnheiten festgefahren ist, hat irgendwann das Bedürfnis, langsamer zu spielen und landet dann zielsicher beim Doom – dieses Klischee kursiert gelegentlich in den USA und ist natürlich hochgradig ignorant gegenüber den Ursprüngen des Doom Metal im Blues und psychedelischen Hardrock. Dennoch steckt darin ein Fünkchen Wahrheit insofern, dass ab den 80ern einige Karrieren einen solchen Weg gegangen sind, darüber hinaus verbindet beide Genres ein gewisser Bezug zum Protestantismus. Die spartanische Trockenheit einerseits, der niederdrückende Fatalismus andererseits, der wenig vom heidnischen amor fati, dafür umso mehr vom Bann einer Vorhersehung hat, in der sich keine Anstrengung mehr lohnt, es sei denn, es geht genau darum, nur noch dies zu verkünden. Und dann gibt es noch die so niederdrückende-schleppende zweite Seite von Black Flags „My War“.

Steve von Till ist nicht einfach ein Hardcore-Musiker und spielt auf seine reiferen Tage auch keinen Doom Metal, dennoch kam mir der Gemeinplatz beim Hören seiner vierten Solo-LP „A Life Unto Itself“ in den Sinn. Nach den ersten rauen Brettern auf Alternative Tentacles spielte von Till mit seiner Band Neurosis eine progressive Art des Metal, die sich Kategorisierungen entzieht und sich durch Schwere ebenso wie durch eine intuitive Komplexität auszeichnet. Auf seinen Soloarbeiten lässt er es wie bei Harvestman erdig dröhnen oder erkundet als an Americana geschulter Songwriter die Aporien und Fatalismen des Daseins, des eigenen wie den menschlichen schlechthin. Doch sind seine folkigen Songs stets von einer Schwere, an die weder Wovenhand noch der späte Man in Black heranreich(t)en. Es ist nicht nur die urig raue Stimme, auch nicht nur die ernste Nachdenklichkeit seiner Reflexionen, über die man endlos sinnieren kann, die aber immer auch eine gewisse Anziehungskraft auf Altkluge haben, die in viel zu jungen Jahren ein Abziehbild von Weisheit bemühen wollen. Auch in den schwermütigen Gitarrenmotiven, dem Gleiten der Pedal Steel und den warmen Hintergrunddrones findet sich etwas Bindendes, Erdendes, das allem flatterhaften Enthusiasmus entgegenwirkt.

All diese Dinge scheinen sieben Jahre nach seinem letzten Solowerk „A Grave Is A Grim Horse“ noch einmal merklich gesteigert, und es scheint, dass von Till die Schwere, die auch seinen folkigen Arbeiten seit jeher eignet, klanglich noch mehr untermalen wollte. „A Life Unto Itself“ ist mit seinen twanglastigen Americana-, Rock- und Country-Anleihen nicht nur stilistisch facettenreich, sondern auch klanglich breiter und dichter als alle Vorgänger, die Bratsche des in vielen Bands aktiven Eyvind Kang und die Drumsection seines alten Freundes Pat Schowe tragen einiges zum fülligen Sound und zum eigenen Charakter des Albums bei. Das rockigste und zugleich experimentierfreundigste Stück „Night of the Moon“, eine Umsetzung von Eichendorffs „Mondnacht“, dröhnt stellenweise wie Harvestman, und am Ende geht der tremolierende Soundteppich mit seiner bewegenden Melodie in eine raue Gitarrenwand über. Wie um die Reichhaltingkeit zu unterstreichen, folg gerade darauf das vielleicht noch luftigste Stück, die Folknummer „Black Bark Box“, bei der die Gitarre mit ergriffenen Pickings einfache, repetitive Ornamente zeichnet, wohingegen das daraufolgende „Chasing Ghosts“ als fast ambienter Klangteppich vor sich hin mäandert.

Auf solch dröhnenden Flächen entfalten auch die anderen Songs ihren jeweiligen Weg, einsame Akkorde schwören ein und begleiten von Till, der im Opener seine Stimme fast so gebrochen wie ein Will Oldham pessimistische Zeilen anstimmen lässt, oder sie bilden das Fundament für J. Kardongs Steelgitarren im Titelsong, in dem der Sänger sich ganz in die Einsamkeit der „Backside of the Mountains“ zurückgezogen hat, um das Leben aus der Totalen, aus reiner Distanz zu betrachten. Ein intuitives Wissen, gespeißt aus Erfahrung und nur vage bennenbar, scheint das Ergebnis seiner Meditation zu sein – „Known but not Named“, wie es der Titel des schlussgebenden Stückes sagt. Der von Leben gezeichnete muss selbst Zeichen setzen, der Vernarbte mit dem geritzten Antlitz muss selbst Zeichen in die Bäume am Weg einritzen und die Narben weitergeben, die das Leben schlug. Warum? Als Bollwerk gegen die Vergeblichkeit? Dass von Tills Songs danach nicht fragen, macht ihre Größe und Stärke aus und ist Teil des trotz aller Abgeklärtheit nicht zu übersehenen Hoffnungsschimmers, der sich an vielen Ecken des Albums aufspüren lässt. (A. Kaudaht)

Label: Neurot