ROSARUBEA: Chrysalide

Ich musste bei RosaRubeas neuem Album “Chrysalide” an die Novelle “Morpho Eugenia” von Antonia Byatt denken, in dem die Verpuppung einer Raupe und ihre letztliche Verwandlung in einen Schmetterling – eingebunden in die Geschichte eines dämonischen Familiengeheimnisses – symbolisch für die Verwandlungen steht, ohne die Leben kein Leben wäre. “Chrysalide”, das nach dem Puppenstadium des Schmetterlings benannt ist und sich musikalisch erst gar nicht zwischen entrückter Kammermusik und erdiger Psychedelia entscheiden will, widmet sich ganz den vielfältigen Verwandlungen, die der Biologie, aber auch der geistigen und seelischen Entwicklung eines Menschen ihre Dynamik verleihen. An vielen Passagen des textlich mehrsprachigen Albums lugt das Morbide um die Ecke. Dass es dennoch ein vitales und freudvolles Werk geworden ist, scheint Teil des Konzeptes zu sein.

Der Ausgangspunkt dieser Reise durch ebenso romantisches wie psychedelisches Terrain scheint eine sinnbildliche Ruine zu sein. Dass “Chrysalide” ausgerechnet an einem 11. September veröffentlicht wurde, darf man dabei wohl nicht überdeuten, auch dass das Album Daniela Bedeskis erstes größeres Werk seit ihrem Austritt als Frontfrau von Camerata Mediolanense ist, eignet sich wohl eher als Biografismus. Die wehmütig-melancholischen Auftakte der einzelnen Songs dagegen verdeutlichen dies jedoch umso mehr, ebenso das Covermotiv, das ein verfallenes Zimmer in einem einst herrschaftlichen Gebäude zeigt. Durch die Inszenierung des Schauplatzes ist jedoch längst etwas Neues daraus entstanden, ebenso wie die Songs immer peu a peu an Kraft gewinnen und zu einer einzigen Feier des Lebens geraten – “once the cocoon broken, with the rush of new wings is transfigured into a music of desire”, wie es im Labelinfo heißt.

Nicht unpassend für ein dem Wandel gewidmetes Album sind einige der Songs von markanten Brüchen und Wechseln geprägt. Mal sind es Wechsel der Klangfülle wie beispielsweise in “Hekla”, wo der dynamische Bandsound den fließenden Pianoteppich auflöst und eine Dynamik schafft, die bestens zu Danielas aufwühlendem Sopran passt. Oder es sind Wechsel des Tempos, wie sie in “Flood” stattfinden, das zunächst sehr leise beginnt und keinen Zweifel daran lässt, dass man hier nur die Ruhe vor dem Sturm erlebt. Ob es nur die Symbolik des Textes ist, die vom Sterben und Werden spricht, und die Andeutungen an ein Ungeborenes – schon vor dem Einsetzen der Drums wird klar, dass dies kein verklärendes Stück ist, und dass Danielas Stimme wirklich groß ist, zeigt sich selbst in den Passagen, in denen ihr Vortrag nah an Spoken Words ist.

Zwischen Kunstlied und Down- bzw. Midtempo Psychedelia ist einiges möglich, und so finden sich im weiteren Verlauf Stücke mit spanisch anmutenden Zupfgitarren, erdige Chansons nach Art der 60er, soundscapige Dunkelheit in “Orpheus” und mit “Window Pain” ein Stück mit äußerst schrillen Momenten. Und es wäre kein Konzeptalbum über Verwandlung und Neugeburt, wären nicht auch ein paar Neuinterpretationen dabei wie „A blue Bird in Scarlett Spring” vom vorigen Album oder eine Interpretation von Nicos “König”, dessen von Akzent durchbrochenes Deutsch das Ergreifende des Songs nur steigert. Es gibt nicht viele, die Nico covern können, und der größte Fehler wäre es, ihre Stimme und Gesangsart zu imitieren. Davon ist RosaRubeas Version jedoch weit entfernt.

Ich will den Vergleich zu Danielas früherer Hauptband nicht überstrapazieren, doch überzeugt “Chrysalide” mich im Grunde sogar mehr als das letzte Camerata-Album. Während bei der älteren Band zum Schluss die orchestralen Elemente immer opulenter und geschliffener wurden und damit umso deutlicher zeigten, dass es Elektronik ist, die dieser Musik eben nur bedingt zu Gesicht steht, gehen RosaRubea hier bei aller Eindringlichkeit dezent vor und geben v.a. dem Gesang den Raum, den er verdient. Ganz nebenbei sollte mittlerweile auch klar sein, dass die Band gut ohne die Neoklassik-Schablone auskommt. (U.S.)

Label: OEC