Als Andrew Eldritch 1993 nach seiner Supportshow für Depeche Mode in London das Set der Sisters of Mercy getreu dem Motto “bite the hand that feeds you” mit dem Ausruf „Enjoy the puppet show“ beendete, da wusste er vielleicht noch nicht, dass er im Jahre 2016 zwar nicht als Marionette, aber bestenfalls als Zombie mit zerfressenen Stimmbändern Karaokeshows mit T-Shirt-Verkauf abliefern würde. Schaut man sich die Setlists von The Cure -die es in den letzten 24 Jahren auf gerade einmal vier (mediokre) Studioalben gebracht haben- an, dann fällt auf, dass sich die Songauswahl stark an den bis zu den frühen 90er Jahren veröffentlichten Alben orientiert, ganz so, als sei man sich bewusst, dass die musikalisch großen Zeiten vorbei sind.
Dabei gibt es auch für seit langen Jahren aktive Bands durchaus Möglichkeiten, in Würde zu altern. Michael Gira hat mit der „reconstitution“ der Swans gezeigt, dass es auch mit 60 Jahren und Jahrzehnten im Geschäft gelingen kann, unglaublich vitale, für Band wie Publikum körperliche Musik zu spielen und das Publikum zu begeistern, selbst wenn man sich dabei fast ausschließlich auf neues Material konzentriert. Einen anderen (weniger radikalen) Weg beschreiten die Ende der 70er Jahre gegründeten Briten von And Also The Trees (deren Debüt vom damaligen The Cure-Keyboarder Lol Tolhurst produziert wurde), die trotz längerer Abstände zwischen den Alben kontinuierlich Musik auf gleichbleibend hohem Niveau veröffentlichen, ohne dass sie aus dem von ihnen abgesteckten musikalisch-ästhetischen Rahmen ausbrechen (müssen).
And Also The Trees waren schon immer der ländliche Gegenpol zu den urbanen Post Punk-Zeitgenossen, schienen aus der Zeit gefallen zu sein, was sich auch in ihrem Bühnenoutfit widerspiegelte. Nach ein paar (etwas) rabiateren Stücken zu Beginn ihrer Karriere konsolidierten sie ihren Stil: eine von Melancholie durchzogene, leicht dunkle Rockmusik, die aber textlich durchaus an Folk erinnerte. Sieht man von einer kurzen Phase ab, in der sie eine Portion Americana hinzufügten, spielen sie seit Jahrzehnten Musik, die -auch gerade wegen der (zwischen Singen und Sprechen changierenden) Stimme Simon H Jones‘- sofort erkennbar ist. Sobald die ersten Töne von dem “Born into the Waves” eröffnenden „Your Guess“ erklingen, weiß man, dass es sich um ein And Also The Trees-Stück handelt. Große Überraschungen mögen da ausbleiben, aber wenige Bands schaffen es, eine Atmosphäre zu erzeugen, die einen unweigerlich an einen Herbsttag denken lässt, oder an eine (noch) kältere Jahreszeit, so auch auf ihrem inzwischen 12. Album, auf dem die „Winter Sea“ oder „Slits of sky where the winter falls“ („Seasons and the Storm“) besungen werden. Es gibt kleinere Variationen bei der Instrumentierung (zu Gitarre, Bass und Schlagzeug kommen ein Xylophon auf „Hawksmoor and the Savage“ und eine Klarinette auf „Winter Sea“ und „The Skeins of Love“ hinzu). Jones‘ Stimme ist im Zentrum (sieht man von dem instrumentalen, auf Japan verweisenden „Naitō-Shinjuku“ einmal ab), insbesondere auf dem für die Band recht experimentellen Song „The Bells of Saint Christopher’s“, auf dem der Gesang lediglich von Gitarrendrones untermalt wird. Wenn es auf letzterem Stück heißt „The sky is hanging like ripped curtains above the town […] A rainbow arcs perfect across this troubled land“ und auf “Boden” die Titelfigur sich “Through fields where the moon shone” bewegt, dann ist das das Heraufbeschwören einer typischen And Also The Trees-Szenerie, die durchaus an Landschaften Caspar David Friedrichs denken lässt. (M.G.)
Label: And Also The Trees