ANOHNI: Hopelessnes

Viele sind traurig, dass es Antony And The Johnsons nun nicht mehr gibt, ebenso wie den Sänger Antony Hegarty. Kann man es ihnen verdenken? Sicher nicht, denn die Band hat im Laufe ihres Bestehens mehrfach Außergewöhnliches in die Welt gesetzt, und Leser von Seiten wie dieser kennen ihre Musik in der Regel noch ein paar Jahre länger als all die Indiehanseln da draußen, die von einer zehnjährigen Bandgeschichte faseln und „I am a Bird Now“ für das Debüt halten.

Dass Antonys Stil, sein Gesang und die Wahl seiner Themen und Mitmusiker stets dem Wandel unterlag und auch sein typischer Stil irgendwo zwischen balladesker amerikanischer Popmusik und dem romantischen Kunstlied keineswegs immer gleich klang, tröstet nur wenig über das Ende der Formation hinweg. Das heißt nicht, dass man deshalb Vorbehalte gegenüber seinem neuen Projekt, geschweige denn gegenüber seinem neuen persönlichen Selbstverständnis haben muss. Mit der musikalischen Seite seiner neuen Persona werden die vielleicht am schnellsten warm, denen die Zusammenarbeit mit Herkules And Love Affair gefallen hat.

Aus dem Sänger Antony, der von Freunden wohl schon länger als „she“ angesprochen wurde, wurde nun endgültig die Sängerin Anohni, und auch wenn der musikalische Wandel damit nicht direkt zusammenhängt, unterstreicht dieser umso mehr den Wendepunkt, das Zurücklassen von Altem. „Hopelessness“ ist ein druckvolles, elektronisches Album, das – so Anohni – musikalisch wie inhaltlich Zähne zeigen will und mit dem House-Electro von Herkules And Love Affair nur grob das Genre gemeinsam hat. Unter den Händen von Hudson Mohawke und Oneohtrix Point Never entstand eine geschliffene Producermusik, die klirrend klar und detailverliebt ist, und dennoch über starke Perkussion und enorme Bässe eine Monumentalität bekommt, die z.T. an These New Puritans erinnert.

Die Inhalte von „Hopelessness“ wurden medial schon ausgiebig durchgekaut: Anohnis Texte sind eine schonungslose Kampfansage an alle „imperialistischen“ Raubzüge der modernen Gesellschaft und vor allem des amerikanische geprägten Westens und die zwingenden Kollateralschäden an Mensch und Natur – ein Thema, dass im Kontext ihrer früheren Arbeiten, also seit „The Crying Light”, durchaus einen Schwerpunkt bildete, doch an die Stelle eines wehmütigen Trauerns ob der modernen Entfremdungstendenzen tritt ein unverblümtes Klartextreden, etwas kraftvoll Kämpferisches, wie man es bei den Johnsons selten – am ehesten vielleicht im rituellen „Shake That Devil – zu hören bekam. Und es geht hier mehr denn je um das große politische Panorama und weniger um subjektives Befinden.

Das auf einem spirituellen Einheitsverständnis mit der Natur aufbauende Anklagen ökologischer Missstände, bei Antony noch ein freundliches und recht allgemein gehaltenes Plädieren für eine wiedererwachte Liebe zur Mutter Erde, gestaltet sich bei Anohni konkret und unmissverständlich: „4 Degrees”, hier der Opener und in der Schlussphase der Johnsons schon Teil des Konzert-Repertoirs, wurde extra für den letztjährigen Klimagipfel in Paris geschrieben und kulminiert – nach einem ironischen Spiel mit den lächerlich klingenden 4 Grad Celsius, die sich die Erde „nur” erwärmen soll – in einer bitteren, von pochenden Beats und theatralischen Synthies vorangetriebenen Selbstanklage: Wir alle haben an der Verwüstung mitgearbeitet und somit unser Recht, die Augen zu verschließen, verwirkt – ein Pessimismus, der sich, ganz im Einklang mit dem Titel, wie ein roter Faden durch das ganze Album ziehen wird. Im Titelsong wird Anohni auf diese Involviertheit aller und die Absage an die selbstgerechte Illusion einer erhabenen Außenperspektive zurückkommen. Ein Stück wie das apokalyptische „Why Did You Separate Me from the Earth?“ erinnent vom Titel her noch etwas stärker an die milderen Reflexionen zu Zeiten der Johnsons, doch auch dieser Friede ist trügerisch.

Angesichts grauenhafter Populisten, die derzeit die Riege der sogenannten Klimaskeptiker mitprägen, ist der Auftakt erfrischend, auch bei aller Einfachheit seiner Botschaft. Ein ebenso zentrales, eventuell kontroverseres Thema, ist Anohnis Abrechnung mit Aspekten amerikanischer Außenpolitik und mit allem, was man einmal unter dem Schlagwort des „war on terror“ zu fassen suchte. Herausragend an der Stelle die zwischen Ambient und gebrochenen elektronischen Rhythmen changierenden Tracks „Obama“, „Crisis“ und das als Single ausgekoppelte „Drone Bomb Me“.

Man muss Anohni nicht, wie jüngst im Freitag geschehen, Antiamerikanismus und Betroffenheitsporno unterstellen. Die Kritik an der Todesstrafe in „Execution“ zieht einen deutlichen Vergleich mit nichtwestlichen Ländern, und ihre Abrechnung mit Obama, nach welchem sich gewiss viele, die ihn zurecht kritisieren, irgendwann zu zurücksehnen werden, ist sicher auch und v.a. eine Abrechnung mit eigenen enttäuschten Illusionen. Unheilvolle Samples und an den Nerven zerrende Rhythmen lassen keinen Zweifel daran, dass durch das Zunehmen geheimdienstlicher Überwachung (dazu noch eindringlicheres in „Watch Me“) und juristisch nicht legitimierter Tötung durch Drohnen naive Hoffnung zur titelgebenden Hoffnungslosigkeit wurde. Der Rolle amerikanischer Politik in Konflikten des Nahen und Mittleren Ostens sind zwei weitere Highlights gewidmet. „Crisis“ rechtfertigt sicher keinen jihadistischen Terror, in dem dieser auch als Folge westlicher Machtpolitik (zentrales Schlagwort Guantanamo) erklärt und das Fazit gezogen wird, dass man Opfer und Schuld nicht gegeneinander aufrechnen kann. Dass der Song streckenweise nach gängigen journalistischen Kommentaren klingt, kann man ihm freilich vorhalten.

„Drone Bomb Me“ greift das Motiv der Schuld aus „4 Degrees“ wieder auf, doch der Schuldkomplex des afghanischen Mädchens, dass seine Familie bei einem Drohnenangriff verlor und sich in einem eindringlichen Monolog für sein Überleben anklagt und den eigenen Tod ersehnt, trägt schwer an seiner bitteren Ironie, die durch den tanzbaren Upbeat noch verstärkt wird. Der Verzicht auf allzu catchy Ohrwurmqualität und die Performance einer in Tränen aufgelösten Naomi Campbell im Video wirken der spielerischen Rhetorik entgegen und hinterlassen einen flauen Eindruck. Irritierend und zugleich erfrischend ist auch die leidenschaftliche Wut, mit der Anohni zur Sache geht. Man mag sich fragen, wie das bei einer derart finsteren Bestandsaufnahme der Weltlage noch möglich ist, aber man kann es freilich auch genau andersherum betrachten – es gibt nichts zu verlieren und somit muss nichts und niemand geschont bleiben. Aber wer weiß, vielleicht schärft ja gerade das Vorrechnen der Ausweglosigkeit den Blick des einen oder anderen für subtile Wege zum Licht am Ende des Tunnels, und sei es nur im Kleinen.

Anohnis Debüt wird gerade in allen nennenswerten Kulturmedien gefeiert und gilt schon jetzt als eine der popkulturellen Sternstunden des noch jungen Jahres – nicht nur in musikalischer, sondern auch in gesellschaftskritischer Hinsicht. Spätestens mit dem Auftritt Campbells meldet sich zwangsläufig der von allerhand kritischen Theorien verkorkste Spielverderber und stellt den erwartbaren Fragenkatalog: Wie konnte man das (nach der Logik des Modebusiness natürlich etwas in die Jahre gekommene) Supermodel für ihren Auftritt bezahlen, oder hat sie tatsächlich aus Idealismus auf eine große Gage verzichtet? Anohni ist nach wie vor bei einem Indie-Label unter Vertrag. Steht das Eingebettetsein in die Welt des großen Kulturbusiness, trotz Oscar-Verzicht, nicht im Widerspruch zum kritischen Anspruch, der somit als Heuchelei entlarvt wird? Oder ist Anohnis perfekt vermarktbare Weltstandpauke gerade aufgrund ihrer trendy Gewandung und ihrer Tauglichkeit zum Hype der perfekt subversive Sand im Getriebe der materialistischen Maschinerie, die auch die Triebfeder all der apostrophierten Missstände ist? Ganz kann man solche Fragen wohl nie beantworten, aber weil mir ein schales “sowohl als auch” zu öde erscheint, entscheide ich mich spontan für die zweite, quasi “postmoderne” Variante – vielleicht weil ich in diesen Dingen ein unverbesserlicher Optimist bin und dem niederschmetternden Pessimismus Anohnis jeden Erfolg wünsche und zutraue. (U.S.)

Label: Secretly Canadian/Rough Trade