Gegründet wurden Nurse With Wound vor nun beinahe 40 Jahren als Band, doch das Gefüge des Trios brach bald auseinander, und in den folgenden Dekaden stand der Name erst einmal für Steven Stapleton, der von nun an manchmal im Alleingang, meist aber mit einem harten Kern an weiteren Musikern seinen klanglichen (und, was in seinem Werk nicht bloß Beiwerk ist: visuellen) Ideen nachging. Seit etwa zehn Jahren nun gibt es bei Nurse With Wound wieder so etwas wie eine Bandstruktur, denn nicht nur Stapletons alter Freund Colin Potter, sondern auch die im letzten Jahrzehnt dazugestoßenen Andrew Liles und Matt Waldron sind nun ein fester Teil der Besetzung und prägen den Sound des Projektes entscheidend mit. Mit „Dark Fat“ haben sie diese Phase nun auf beeindruckende Weise dokumentiert.
Die Doppel-LP ist allerdings weder eine Best of, noch ein Konzertmitschnitt oder eine Sammlung von exotischen Versionen einzelner Stücke, sondern etwas, das ein bisschen was von all dem und mehr beinhaltet – „Dark Fat“ ist eine opulente Bricolage aus unzähligen Mitschnitten, die Waldron über Jahre hinweg bei Konzerten und im Studio, beim Komponieren und Improvisieren, beim Plaudern und Probehören aufgezeichnet hat. Schön ist, dass das Endprodukt – im Unterschied etwa zu Current 93s „The Great in the Small“, das einer verwandten Idee entsprang und mehr ein akustisches Suchbild darstellte – durchaus als eigenständiges Album durchgehen kann. Auf diesem sind dann auch zahlreiche Gastmusiker zu hören, u.a. reichen sich Stephen O’Malley, David Tibet und Attila Csihar das Mikro in die Hand, und selbst jemand wie der in den letzten Jahren wenig zu hörende Andrew MacKenzie ist zu hören – alle natürlich ohne nachträglichen Einfluss auf die finale Gestalt als weiteres Soundmaterial mit verwurstet.
Da die einzelnen Versatzstücke meist im provisorischen Stadium aufgezeichnet wurden und auf Konzerten von NWW ohnehin nicht einfach Album-Tracks runtergespielt werden, ist auch für den Kenner nicht alles bekannt und das Bekannte längst nicht einfach zu erkennen. Was jedoch durchweg erkennbar ist, ist die typische Handschrift der beteiligten Musiker, allem voran natürlich Stapleton, dessen von grotesker Komik durchdrungene Ideen der Grund sind, warum Nurse With Wound nie einfach eine weitere experimentelle Band waren, sondern große Entertainer, und so hat auch „Dark Fat“ diesen typischen dunklen Sound, in dem drahtiges Rasseln, Tierstimmen und lasziv hauchende Frauen durcheinander gemengt werden, und der von Effekten lebt, die schwer zu beschreiben und doch leicht als Nurse With Wound-Sound zu erkennen sind.
Schon die ersten zehn Minuten sind ein Panorama der bekannten und doch stets in Veränderung begriffenen NWW-Parallelwelt. Auf ein Bett aus molligem Rauschen und durcheinander schwimmender Klangdecken räkelt sich eine ebenso verführerisch wie wahnsinnig klingende Lynn Jackson, die man vom „Huffin’ Rag Blues“-Album her kennt, ein jazziges Xylophon sorgt für stilvolle Gemütlichkeit, doch ständig erwartet man, das die Sängerin, die von Haus aus eher dem Folk zugeneigt ist, sich in die Lady in the Radiator oder in eine surreale Vampir-Lady aus einem Jean Rollin-Film verwandelt. Und natürlich erweist sich die softe Traumsequenz schon bald als Trugbild, entpuppt sich als wirrer, albtraumartiger Strudel aus altbackenen Rocksoli, röhrenden Feedbacks, verzerrten Stimmen und hektischen Beats.
In der Folge reiht sich allerhand Typisches an Überraschendes: Ein ins Tenorsaxophon schmetternder Eberhard Kranemann trifft auf eine NWW-typische Bricollage aus drahtigem Blechrasseln und tremolierenden Ambientsounds. Mandolinen, Klarinetten und diverse exotische Instrumente haben ihre Momente, an Triphop erinnernde Downtempo-Rhythmen werden von soghaftem Lärm absorbiert, eine nymphomanische Diana Rogerson krakeelt wie seit ihrem Album mit Andrew Liles nicht mehr, und die aggressiv fauchenden Raubtiere oder die wie Bären knurrenden Maschinen stammen sicher ebenfalls aus dem Hause Monster-Liles. Beinahe ein Bonus ist „Rock’n Rolla 1959“, eine von Jac Berrocals Textvortrag dominierte Variation des berühmten „Rock’n'Roll Station“, dessen Motive mit etwas mehr Wiedererkennungswert noch einmal für den Ausklang Verwendung finden.
In erster Linie ist „Dark Fat“ tatsächlich ein veritables Album geworden, dessen Bricolage-Charakter natürlich keinen Unterschied zu ähnlich gearteten NWW-Platten von „Sylvie & Babs“ bis „Huffin’ Rag Blues“ darstellt, und wenn mir nichts Spektakuläres entgangen ist, dann ist das Album das beste seit den Zusammenarbeiten mit dem verstorbenen Graham Bowers. Als Zusammenfassung einer Phase der Bandgeschichte bringt es sehr viel Typisches unter einen Hut, allem voran auch wieder den schalkhaften Touch des Bizarren, der stets mit fingerschnippender Beiläufigkeit auf den Plan tritt, ganz ohne grelle Leuchtschilder, die mit einem Stöhnen oder einem Schweinegrunzen zuviel den Esprit nur entwertet hätten. (U.S.)
Label: Dirter/United Jnana