HOWLING LARSENS / NICOLAOS LYMPEROPOULOUS: Parmenides Proem

Vor zirka zweieinhalb Jahrtausenden befasste sich im süditalienischen Elea, das damals dem griechischen Kulturraum angehörte, ein Weiser namens Parmenides mit Reflexionen, die man später, vielleicht aber auch schon damals Philosophie nannte. Wie viele Aufzeichnungen es von ihm oder über ihn gegeben hat, ist ungewiss, ein (eventuell fragmentarischer) Text allerdings existiert und zählt bis heute zu den wichtigsten Traktaten der Geistesgeschichte. Unter dem Titel „Über die Natur“ geht der Denker auf kurzem Raum der Frage nach, welchen Weg der Mensch auf sich nehmen muss, um Einsicht in die Verbundenheit aller Dinge und das Wesen des Seins zu erlangen.

Der Text ist reich an Bildern und Symbolen, hat einen stark spirituell ausgerichteten Grundzug und wirkt aus heutiger Sicht eher wie ein Prosagedicht als wie eine Erörterung von Erkenntnisfragen. Im ersten der drei Teile, genannt „Proem“, begibt sich das Bewusstsein des Menschen auf eine Wagenfahrt ins Ungewisse, lässt alle Kontrolle los und überlässt die Richtung den Pferden, die gemeinhin als die Gedanken interpretiert werden. Auf seinem emotional fordernden Weg hat der Suchende, motiviert von als Jungfrauen allegorisierten Musen, Schwellen zu passieren und Türen mit dem richtigen Schlüssel zu öffnen – ist er im Einklang mit sich und der Natur der Dinge, so öffnen sich ihm die Tore, und Dike, die Göttin der Gerechtigkeit, empfängt ihn.

Fragen des Seins, philosophisch gesprochen der Onthologie, und die Vorstellung der Einheit aller Dinge haben den Menschen des abendländischen Kulturraumes nie losgelassen, und wenngleich eine Lehre wie die des Vorsokratikers Parmenides seit Platon an den Rand gedrängt wurden, ließ da Interesse an seiner Schrift nie nach – Romantiker und Symbolisten, Denker wie Heidegger, an östlicher Spiritualität und am Okkulten interessierte Rezipienten haben sich immer wieder mit ihm befasst, und jüngst kam es in Griechenland zu einer musikalischen Umsetzung namens „Parmenides Proem“.

Die Geschichte dieser Aufnahme begann genau genommen bereits vor einigen Jahren, als Rebecca Loftiss und Alan Trench, die neben einigen anderen Projekten zusammen die Howling Larsens bilden, auf die südlich von Athen gelegene Insel Euböa zogen, wo sie den einheimischen Okkultisten Nikolaos Lymperopoulous kennenlernten. Mit ihm zusammen entstand die Idee, den Text in drei Teilen zu vertonen, wovon der erste Abschnitt nun in einer interessanten Umsetzung vorliegt. Konzipiert wurde die Interpretation zunächst für rituelle Performances – eine fand im Haus der Theosophischen Gesellschaft in Athen statt, eine weitere in einer Schule in Aliveri. Erst danach entschieden die drei sich, das Stück für eine Veröffentlichung aufzunehmen.

Während es in den letzten Jahren schien, dass Howling Larsens eher die folkig songorientierte Seite der beiden ausdrückt, ist „Parmenides Proem“ wieder abstrakter gestaltet, besteht die Musik doch aus einer gut 45minütigen Klangreise, die man, wenn man sie genremäßig verorten solle, wohl irgendwo zwischen Gitarrenambient und Progressive einordnen müsste, mit Folk, den man gemeinhin mit Loftiss und Trench in Verbindung bringt, hat die Musik eher wenig zu tun. Lymperopoulous’ Vocals und Trenchs Gitarre wurden zunächst live aufgenommen, später steuerte Loftiss Glocken und diverse Sounds bei.

Eine gleitende Fläche bildet den Hintergrund für ein interessantes Duett zwischen Lymperopoulous und Loftiss: In einer langgezogenen, vokallastigen Weise trägt Lymperopoulous den griechischen Originaltext in einem evokativen Gesang vor, der besondere Stellen durch (auch von der Musik durch einen Wechsel der Tonarten untermalte) Dramatik akzentuiert und an schamanischen Singsang erinnert. In den Pausen setzt Loftiss auf ihre charakteristische Art mit der englischen Übersetzung ein. Durch den warmen Klang und den gleitenden Grundzug erinnert das Album streckenweise an eine Traumsequenz, doch sich davon einlullen zu lassen, wäre ein Weg, der ins Leere führt – erst mir einer gewissen Konzentration vermag man bis in die tieferen Schichten der Musik und der Worte vorzudringen.

Es gibt Pläne, die beiden folgenden Teile des Textes ebenfalls zu vertonen, was sicher ein interessantes Unterfangen ist, denn textlich gestalten diese sich wesentlich komplexer. Dann würde “Parmenides Proem” in seiner originellen Umsetzung vielleicht auch musikalisch wie ein Prolog anmuten. Man darf gespannt sein. (U.S.)

Label: Sombre Sonics