Der Filter, der entscheidet, was vom Gehör zur Verarbeitungszentrale weitergeleitet wird, und was nicht, ist unerbittlich in seiner Ausgrenzung. Unzählige kleine Geräusche ziehen täglich an uns vorbei, scheinbar unbemerkt, in jedem Fall unerinnert. Ähnlich dem Unbewussten des Geisteslebens ist auch das ungehört Vorbeiziehende eine wahre Schatzkammer an Klängen oft gerade filigranerer Art. Dave Phillips ist seit langer Zeit ungewöhnlichen Geräuschen auf der Spur. In der Absicht, diese vor dem Verschwinden, dem für immer ungehört bleiben zu entreißen, ist er aber keineswegs nur Archivar. Phillips hat seit jeher eine Leidenschaft für Naturgeräusche, besonders die Klänge von Insekten sprechen ihn ästhetisch an, berühren und überwältigen ihn, wie er in unserem Interview sagte.
Darüber hinaus erkennt er darin aber auch einen „immensen Sprachreichtum, eine immense Kommunikation“ und sieht diese Sprache als „enorm tiefgründig, wenn man ihr richtig zuhören mag“. Man erlernt eine solche Sprache nicht wie eine Fremdsprache, nähert man sich ihr aber intuitiv an, kann dies die Fähigkeiten der Kommunikation, der Wahrnehmung und gerade auch der Empathie enorm erweitern. Als jemand, der seit jeher in seinen künstlerichen Aktionen gegen die Entfremdung zwischen Mensch und Natur ankämpft, ist auch das Sammeln, Aufarbeiten und Vermitteln von seltenen Sounds aus Fauna und Flora ein Teil seiner Arbeit an der Empathie des Menschen für die Natur.
Auf seiner neuesten Doppel-CD präsentiert Phillips eine Vielzahl an primär Tier-Geräuschen, die er im letzten Winter in verschiedenen Provinzen Südafrikas aufgespürt und aufgezeichnet hat, was ihm schon deshalb ein Anliegen war, da viele der Lebensformen auf lange Sicht bedroht sind. Was sich auf den zwei Scheiben findet, ist ein enormes regionales Bestiarium unentdeckter Sounds: von Zikaden flankierte Sandfrösche und ihre Verwandten, die Kassinas aus den waldreicheren Ostprovinzen, deren nahezu perfekt rhythmisches Tremolieren manchmal an Holzblasinstrumente erinnert, dann wieder an Metallteile, die in Hochgeschwindigkeit gegen Glas schlagen; urige Chorgesänge von Kröten, die sich manchmal wie grotesk verfremdete menschliche Stimmen oder zombifiziertes Bellen anhören, und bisweilen wäre es nur ein kleiner Schritt zu minimalem, aber umso kraftstrotzenderem Rhythm Noise; ein gemischter Chor verschiedener Insekten und Amphibien in einem halbtrockenen Flussbett bei Nacht.
Einmal mehr Zikaden, die solo und in Ensembles verschiedener Größe auftreten und deren Serenaden dem, was man auch konventionell Musik nennt, oft recht nah kommen; ein fast niedlich dazwischen quiekendes Warzenschwein; Geckos mit ihrem seltsam ratternden Gebell bei Sonnenuntergang; große Ansammlungen von Tauben, deren Gurren und Flügelschlagen zu einer Kakophonie aus Grunzen und Knarren gerät und immer wieder von anderen, „konventionelleren“ Vogelstimmen durchbrochen wird; dröhnende Insektenschwärme und einzelne Fliegen oder Käfer im Flug; das seltsame Lachen eines Flusspferdes; Löwen, Schakale und Hyänen, deren Jaulen und Brüllen einem undefinierbar erscheint, wenn man sie dabei nicht vor Augen hat; dann Wind und Wasser – der Schauplatz selbst, der ohnehin immer präsent und stets mehr als nur Kulisse ist, macht Amphibien, Insekten und Vögeln für Momente den Platz am vorderen Bühnenrand streitig.
Ungezählte Noise- und Droneplatten könnte man aus diesem Material zusammenschustern, und Alchemisten wie Ô Paradis könnten aus einer Auswahl davon dekonstuierte Popsongs basteln, denn vieles klingt schon in seiner Rohform musikalisch und z.T. sogar überraschend „elektronisch”. Phillips Mission ist eine andere, als Meister des Foregroundings lässt er diesen Pool an ungewöhnlichen und oft undefinierbaren Klängen für sich sprechen. In der Auswahl, aber auch in der subtilen Bearbeitung – räumliches Arrangieren und Einstellen der Aufnahmegeräte, ferner leichtes Equalizing – liefert er die Vorarbeit, an die die Hörer dann mit ihrer Aufmerksamkeit anknüpfen können. (U.S.)
Label: Self-released