Ghana gilt in der Wahrnehmung vieler Europäer als eine Art westafrikanischen Vorzeigeland, als “ein Land, dem es gut geht in einer Region, der es schlecht geht”. Der Lebensstandard ist verglichen mit den meisten Nachbarstaaten gut, The Economist bezeichnete das Land, das einmal Goldküste genannt wurde und als erster Staat südlich der Sahara unabhängig wurde, als “beste Demokratie” der Region. All diesen Nachrichten zum Trotz sind teurer werdende Mieten vor allem in den urbanen Zentren, die Verdrängug von Kleinbauern von ihrem angestammten Land und die generelle Kluft zwischen Arm und Reich nur ein Teil der Kehrseite, die in diesen Berichten oft etwas unter den Tisch fallen. Zu Wort kommen diese Themen immer wieder in den Arbeiten der rührigen kreativen Szene des Landes, zu der auch eine recht große Musik-Community zwischen experimentellem Underground und alternativer Popmusik zählt.
Eine der populärsten Figuren dieser Szene ist King Ayisoba, der in den letzten Jahren mit seiner Kologo, einem lautenartigen Instrument mit zwei Saiten, mehrsprachigem Gesang und unterschiedlicher Begleitung einige Alben auf den Markt gebracht hatte, die zunächst in seiner Heimat populär wurden, seit einiger Zeit aber auch in Europa immer bekannter werden. In seinen zwischen traditioneller Musik und kraftvollem Pop angesiedelten Songs deckt er stets ein breites Spektrum an Themen und Einflüssen ab, feiert die schönen Seiten seiner Gesellschaft, spart aber auch nicht mit Kritik. Sein letztes Album “Wicked Leaders” war – schon dem Titel nach – ein wütender, aber keinesfalls trübsinniger Abgesang auf Korruption, Intransparenz und Verantwortungslosigkeit einheimischer Eliten.
Auf seinem neuen Longplayer “1000 Can Die” knüpft er gleich zu Beginn an diese Kritik an, und behält ebenso die Themenvielfalt des Vorgängers bei. Zugleich spannt er aber auch in einer anderen Hinsicht einen weiten Bogen, indem er die Kontinuität von Tradition und modernen Einflüssen noch stärker als zuvor betont. Im Grunde ist dies ein Motiv, das seine Arbeit von Beginn an durchzieht, ist er mit dem Kologo-Spiel primär ein traditioneller Musiker, der den Konnex zu modernen Instrumenten und Spielweisen (wie der in Ghana populäre Hiplife, ein hybrider ghanaischer Hiphop-Stil) allerdings immer gesucht hat.
In den Liner-notes bezeichnet er die traditionellen Instrumente als die stärksten Ausdrucksmittel überhaupt, die durch die Kombination mit Neuem allerdings an Kraft gewinnen können. Dem entsprechend wirkt “1000 Can Die”, bei dem fast alle Songs in Kollaboration mit je anderen Musikern entstanden ist, auch sehr heterogen und experimentierfreudig. Das eröffnende “Africa Needs Africa” enthält einiges von dieser Vielgestaltigkeit im Kleinen: verspielter Computerkitsch und vertrackte Elektrobeats, erst nach einiger zeit Ayisobas Kologo, die wie ein mystisches Echo aus der Vergangenheit anmutet, über all dem ein wechselhafter, oft mehrstimmiger Gesang, der mal als Chor, mal als Rap, mal als aggressives Shouten den politischen Status quo attakiert und einen noch zu entdeckenden afrikanischen Weg einfodert.
Im Verlauf geben sich Protestattitüde und Zuversicht stets die Hand, textlich und auch stimmungsmäßig, wobei das Verhältnis natürlich von Song zu Song unterschiedlich ausfällt – auf der einen Seite eher mystich klingende, hoffnungsfrohe Lieder wie das in Zusammenarbeit mit Zea alias Arnold de Boer entstandene “Wekana”, das die Kunst des Zusammenführens feiert, auf der anderen Seite kämpferisch anmutende Stücke wie das auf Lee ‘Scratch’ Perry-Samples aufbauende Titelstück, das im Klang und Polyrhythmus volle “Anka Yen Tu Kwai” und das hypnotisch perkussive “Yalma Dage Wanga”, bei dem Ayisobas Stimme forsch und zugleich humorvoll und jungenhaft klingt.
Die frohsinnigsten Momente sind interessanterweise den rein traditionellen Klängen (und Themen) vorbehalten: Im evokativen “Grandfather Song” begleitet sich der Sänger lediglich auf der Kologo, beim in einer der Landessprachen gesungenen “Ndeema” kommt eine Duettpartnerin hinzu – zusammen besingen sie, so Ayisobas Erklärung, das Haus der Schwiegereltern, in das sich eine Frau in Ghana immer bei Eheproblemen zurückziehen kann, bis dass diese ausgesessen sind. Und so klingt “1000 Can Die”, das als moderner Hybrid beginnt und die aktuellen gesellschaftlichen Übel anprangert, mit einem rein folkigen Stück aus, das einen überlieferten Brauch zur Problemlösung feiert. Sieht man diese Entwicklung programmatisch, dann ist King Ayisoba ein doch recht optimistisches Werk gelungen, bei dem die Tradition den integrierenden Rahmen bereitstellt. (U.S.)
Label: Glitterbeat