MARTIAL CANTEREL: Lost at Sea

Es ist schon interessant zu beobachten, wie Genres, die in den 90ern von großen Teilen der Musikpresse bestenfalls ignoriert, schlechtenstenfalls lächerlich gemacht wurden, seit einigen Jahren auch für Hipster goutierbar und abfeierbar geworden sind. Zwar mussten sich Vertreter dunkler(er) Musik zumindest in Deutschland nicht um Möglichkeiten der Veröffentlichung und der medialen Repräsentanz sorgen (schließlich gab es Zillo und Orkus), aber die Rezeption fand doch oft in klar abgegrenzten Subkulturen statt. Der neuste Zillosampler wurde schließlich nicht in der Spex besprochen.

Inzwischen sind viele Künstler angesagt, deren Wurzeln oftmals klar in den düsteren Musiken der frühen 80er liegen. Exemplarisch könnte man Zola Jesus, Chelsea Wolfe oder Cold Cave nennen. Natürlich ist ihre Musik orgineller als das, was der eine oder andere Klon in den 90ern veröffentlichte, aber viel mag auch mit veränderter Wahrnehmung zu tun haben oder mit dem richtigen Label.

Dem nach der Hauptfigur aus Raymond Roussel zweiten Roman Locus Solus benannten Projekt Martial Canterel von Sean McBride – der eine Hälfte des Minimalduos Xeno @Oaklander ist -hört man ebenso wie oben genannten Bands an, dass er sicherlich eine Sozialistation erfahren hat, in der die frühen 80er (stil)prägend waren: Seit Jahren veröffentlicht er Alben, auf denen seine Liebe zu analogen Synthesizern mehr als deutlich wird und die sich im weitesten Sinne mit Schlagworten wie Cold Wave beschreiben lassen. Dass eine seiner ersten Veöffentlichungen auf dem deutschen Label Genetic Music veröffentlicht wurde, ist schon passend. Seine Stimme lässt sich irgendwo zwischen Tears for Fears und OMD einordnen. Eröffnet wird das Album von dem treibenden, technolastigen „Giving Up“ , zu dem es ein von Liz Wendelbo gedrehtes somnambules Video gibt. Auf “The Furnace” oder “Pustza” wird das Tempo etwas zurückgefahren, während das instrumentale Titelstück gänzlich auf Rhythmus verzichtet und von flächigen Sounds dominiert wird. Das Instrumental „Scherzo“ macht m.E. aber deutlich, wie wichtig McBrides Stimme für das Klangbild ist.

McBride verweist (auf “Astralize”) auf Donna Haraway, die Autorin von “A Cyborg Manifesto” und äußert in Interviews Interesse an Denkern wie Reza Negarestani. Seine Begründung für sein Interesse an elektronischen Instrumenten erscheint (nur) auf den ersten Blick paradox: “The true materiality of this music is what really appeals, its truly electric nature, the vulnerability of the instruments, the synthesizer as an ‘instrument with a limit.’ All these things purport a kind of humanness to electronic music”. Es klingt durchaus sympathisch, wenn er auf die Frage, was er den Hörenden gegenüber kommunizieren wolle, sagt: “The inconsolable sadness that is the world. For me this shadowy and minor-keyed music opens up fissures in the tightly knit fabric of betrayal and falseness from which affirmation springs, like a kind of invocation of hope. Employing the negative in the face of so much negativity produces something, however fleeting, positive and it is this hope born from negativity that I would like to communicate most.”  (MG)

Label: Dais Records