Das vor einigen Monaten veröffentlichte dritte Album des aus Richard Thompson und Emma Reed bestehenden „experimental folk duo“ Lost Harbours beginnt mit einer Interpretation von “Black Is The Colour”, die die musikalische Ausrichtung des Albums verdeutlicht: Das ursprünglich aus Schottland stammende Traditional, das über die Jahre zahllose Musiker (u.a. Nurse With Wound) eingespielt haben, wird bei Lost Harbours zu einem von zweistimmigem Gesang dominiertes Stück, das fast schon als Klagelied bezeichnet werden kann.
Das darauffolgende „Lake” wird von Thompsons Fingerpicking geprägt, und sein Gesang hat durchaus sakralen Charakter. Das dazugehörige Video bedient sich einiger etwas abgegriffener Naturtopoi, die diese fantastische Musik eigentlich nicht nötig hat. Die Naturevokation auf “Two Suns” (“From shore to sea/two suns in the sky”) mit der Betonung des Zyklischen, des Werdens und Vergehens (“one is reborn while the other dies”) passt zum Albumtitel, der auf die Himmelsbestattungen der Parsen verweist. Das von der Landschaft Essex’ inspirierte “Waking” ist langsamer und (noch) getragener als die vorherigen Stücke, während das 13-minütige „Elegy“ ein aus mehreren Teilen bestehendes Stück ist, das mit vereinzelten Tönen und fast flüsterneder Stimme beginnt, wodurch es fast schon einen Ambientcharakter bekommt. Nach drei Minuten wird das Tempo allerdings erhöht und Flöten setzen ein. Aber auch dieser Teil endet, und Drones setzen ein, die gegen Ende leicht atonalen Charakter haben, bevor das Stück an den Anfang anknüpft. Es scheint, als solle hier die ganze Bandbbreite dessen, was Lost Harbours können, gezeigt werden. Dass ein früheres Album „Hymns and Ghosts“ hieß, lässt sich sicher fast schon programmatisch verstehen und dass das Label, auf dem “Towers of Silence” erscheint, Liminal Noise Tapes lautet, ist sicher für diese schwellenhafte Musik mehr als passend.
Vergleiche sind eigentlich müßig, aber man kann als Referenzpunkte vielleicht Six Organs of Admittance zur Zeit von „Dark Noontide“ nennen und Reeds Vocals lassen manchmal an Rose McDowall denken. Vielleicht wird man beim Gitarrenspiel auch etwas an Michael Cashmore erinnert, und der Vergleich mit Current 93 ist vielleicht nicht ganz so weit hergeholt, schließlich interpretieren Lost Harbours als letztes Stück des Albums das von Charles Wesley getextete „Idumea“, dem auf Current 93s „Black Ships Ate The Sky“-Album eine zentrale Rolle zukam.
Wer also nicht auf “the constant flow of sugary gratification on demand” (Mark Fisher) aus ist und wer dunkle(re) Folkmusik nicht unbedingt mit epigonalem Runengeraune gleichsetzt, für den sind Lost Harbours sicher nicht die schlechteste Wahl. (MG)
Label: Liminal Noise Tapes