NIEDOWIERZANIE: Tout les Chemins de Mon Pays

Niedowierzanie gibt es mittlerweile seit gut zehn Jahren, und auch wenn die zahlreichen Veröffentlichungen alle ihren eigenen Charakter haben, zieht sich durch sie doch ein gemeinsamer, unverkennbarer Stil, der durch augenzwinkernde Genre-Ungetüme – „nonchalant mediterranean muzak, paranoid soundscapes, bohemian folk misery“ – gar nicht einmal schlecht umrissen ist: verträumte Figuren auf der Mandoline und anderen Saiteninstrumenten, die verschiedene, meist südeuropäische Folktraditionen in Erinnerung rufen, verschwimmen mit vielfarbigen ambienten Landschaften teils digitaler Herkunft, teils basierend auf verfremdeten Akkordeon- und Celloklängen, und immer wieder ereignen sich Momente, in denen die entspannte, bisweilen wehmütige Genügsamkeit aufgebrochen wird durch spannungsgeladene Eruptionen und beklemmende Engpässe, durch undefinierbare Geräusche und kurze lärmende Gewitter.

Das jüngst in hundert Exemplaren beim portugiesischen Urubu-Label herausgekommene Tape „Tout les Chemins de Mon Pays“ („Alle Wege meines Landes “) zählt ähnlich wie die Download-Veröffentlichung „Atalante“ zu den Arbeiten, bei denen der in Marseille geborene und heute in der Nähe von Barcelona lebende Leo Maury simple Rhythmen in den stets instrumental gehaltenen Niedowierzanie-Sound integriert. Im repetitiv-schönen Opener „Segovia“ hebt sich der leichte Takt kontrastreich vom mollastigen Folksound ab und schafft mit einfachen Mitteln ein diffuses Spannungsgefüge aus Illusion und ihrer gleichzeitigen Brechung. Doch oft schafft die Illusionsstörung mit der Zeit nur neue, ungleich resistentere Illusionen, sobald sich das Ohr erst an die kleinen Unebenheiten gewöhnt hat.

Beim getrageneren „Non Sens“, das wie eine gemächliche Kamerafahrt über ein idyllisches Panorama wandert, spielen ein paar den Wohlklang störende Hochtöner dieses Spiel, in dem dann auch „Illusions“ genannten Track ist es wieder der etwas zu dominant geratene Beat. Gerade dieses Stück mit seinen griechischen Folkanklängen, seinem wunden Tremolieren und seinem gläsernen Klimpern – eine Mischung, die magischerweise wie aus einem Guss klingt – sollte an Vielschichtigkeit nicht mehr zu überbieten sein, doch „Mezzogiorno“ mit seinem melodischen Leierkasten und den (zufälligen?) Anklängen an Tango und Rocksteady steht dem in nichts nach. Man könnte auch über die Tracks der zweiten Seite eine Menge an Details herausheben, sei es der monumentale Score von „Invalide“ oder die barocke Holprigkeit von „Barberie“, aber letztlich sind es v.a. die wechselhaften Stimmungsnuancen von heiterem Frohsinn über pure Schwermut bis zu der heftigen Erregtheit, mit der Niedowierzanie seinen Schatz der schnöden Welt in die Fratze schleudert, die dieses Tape zu etwas ganz besonderem machen. (U.S.)

Label: Urubu Tapes