Auf „Cronovisione Italiana“ reisen wir in die Vergangenheit, ins Turin der dreißiger Jahre, um einen Mann bei einer ungewöhnlichen Reise in die Zukunft zu begleiten. Es handelt sich bei dem Mann um einen gewissen Carlo Domenico Valyum, einen Erfinder und naturwissenschaftlichen Privatgelehrten, der Maschinen zum Abhören von elektromagnetischen Wellen entwickelt hatte und auf Audiovisuelles spezialisiert war. Irgendwann im Jahr 1937 machten seine Geräte merkwürdige Tonaufzeichnungen, die Rätsel aufgaben.
In den Wirren der folgenden Jahre verschwanden sowohl der merkwürdige Wissenschaftler als auch all seine Aufzeichnungen und Notizen – bis dass vor gerade vier Jahren in Berlin die besagten Aufnahmen auftauchten. Da diese im Medium VHS vorlagen, muss es in der Zwischenzeit, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, eine Beschäftigung mit dem Werk gegeben haben. Mit dem Wissen von heute fand man schnell heraus, dass es sich bei den Übertragungen um Schnipsel aus dem italienischen Fernsehen der 70er und 80er handelte. Das vorliegende Werk ist ein von den Musikern und Klangforschern Mirco Magnani und Valentina Bardazzi zusammengestelltes Dossier dazu.
Beim Konsultieren der gängigen Suchmaschinen stellt der geneigte Nutzer schnell fest, dass Carlo Domenico Valyums Werk wohl derart in Vergessenheit geraten sein muss, dass man kaum etwas dazu findet, außer eben Dinge, die im Zusammenhang mit dem vorliegenden Dossier stehen – ein Schelm, der Urban-Legendäres und Privatmythologisches dabei denkt, und da ich selbst mit der ganzen Geschichte hier auch zum ersten Mal in Berührung komme, werde ich mich ganz auf die Klänge fokussieren, denn in musikalischer Hinsicht ist das hörspielartige und zugleich symphonische Werk durchaus reizvoll.
Wie ein leicht verfremdeter orchestraler Soundtrack mit dezenten Pauken beginnt der Fluss der Klänge recht klassisch, doch früh registriert man, dass sich etwas Dunkles, Brodelndes zusammenbraut – noch ahnt man nicht, ob die kleinen und großen Noisebrocken den orchestralen Synthiefluss von innen aufbrechen werden oder von ihm mitgerissen werden. Die Dynamik ist die einer subtilen Steigerung, die ihren ersten atmosphärischen Höhepunkt in „Estrazioni del Lotto“ erlebt, wo nervenaufreibende Synthietupfer und ein ernster italienischer Vortrag im Zentrum stehen. Wie ein noch im Dunkel tappender Detektiv kommt man sich vor, wenn einem Thema und Stimme – schon aufgrund der Sprachbarriere – fremd bleiben. Aber vielleicht erwartet man angesichts des Tracktitels, den man dann doch irgendwie versteht, auch an der Stelle nichts inhaltlich allzu Hochtrabendes. Mit der Zeit entpuppt sich die Musik immer mehr wie eine von ruhigen und ruppigen Gezeiten gesteuerte Brandung, in denen die Wellen mal berührend-melancholisch, mal kraftvoll und monumental auf den Hörer zu- und über ihn hinwegfließen. Dabei spülen sie eine Vielzahl mysteriöser Details an Land, von Dialogfetzen über digitales Gebimmel bis hin zu Wind und Wetter und undefinierbarem Rumpeln und Donnern.
Für den Rezensenten ist „Cronovisione Italiana“ ein interessantes Opus analoger Elektronik, und der geheimnisvolle Überbau trägt durchaus zur Aura des ganzen bei. Wer dem Geheimnis auf die Spur kommen will, sollte vielleicht Grundkenntnisse in der Geschichte des italienischen Fernsehens mitbringen, und sich von den Tags, die Magnani und Bardazzi in ihrem Begleittext angeben, nicht allzu sehr einschüchtern lassen, denn die lesen sich wie ein Who is Who aus Theosophie, moderner Avantgarde und Quantenphysik inklusive interessanter Figuren wie G.I. Gurdjieff und Madame de Salzmann. (U.S.)
Label: Undogmatisch