JOHN RENBOURN: Live In Kyoto 1978

John Renbourn zählte in den 60er- und 70er Jahren nicht nur mit seiner Band Pentangle zu den großen Erneuerern des Folk, denn schon parallel zu den oft leicht jazzig angehauchten Arbeiten der Gruppe nahm er Soloalben mit Gitarre auf, mit denen er u.a. seinem Interesse an Alter Musik aus Mittelalter, Renaissance und Barock nachging. Sicher stellte das Ende der Band 1973 für ihn eine wichtige Zäsur dar – im Hinblick auf sein kreatives Output jedoch war es das definitiv nicht, denn ähnlich wie sein Kollege Bert Jansch stürzte er sich nun noch mehr in seine Soloabenteuer.

Fünf Jahre nach Pentangle führte ihn sein Weg nach Japan, wo er in den Nachbarmetropolen Osaka und Kyoto je ein Konzert spielte, und wie zu erwarten begegnete er in der musikalich seit jeher rührigen Kansai-Region, in der Musiker wie Hijōkaidan und Incapacitants nur wenige Jahre später die Noisemusik im eigentlichen Sinne erfinden sollten, einem aufgeschlossenen Publikum. Vor einigen Jahren tauchte im Nachlass des Soundmannes Satoru Fujii ein hervorragender Mitschnitt der Show in Kyoto auf, die nun auf LP zugänglich gemacht wurde.

Was die Aufnahme außer der Soundqualität auszeichnet, ist die fast familiäre Kneipenatmosphäre des Konzertes, das in einem kleineren, aber wohl gut besuchten Café stattfand, und bei dem der nicht immer so redselige Gitarrist sein Publikum auch mit netten, mitunter launigen Ansagen unterhielt. Darüber hinaus gibt der Mitschnitt Zeugnis von den vielseitigen Interessen und somit der Bandbreite Renbourns. Dazu zählen leichtfüßige Traditionals wie das Instrumental „Candyman“, bei dem der Musiker gleich einen Eindruck seines runden, ornamentalen Pickings vermittelt, aber auch schwermütigere Folksongs wie „So Early in Spring“, das – ähnlich dem bekannten Song „The House Carpenter“ – die Geschichte eines jungen Seefahrers erzählt, der seine Geliebte zurücklässt und sie nach Jahren verheiratet wiedertrifft. Weitere Folkklassiker sind das aufwühlende „The Cuckoo“ (in einer anderen Version als jener, aus der die damals noch jungen Sol Invictus das unsäglich altkluge „Abattoirs of Love“ gemacht hatten) und die beliebte und vielfach adaptierte Whiskey-Hommage „Sir John Barleycorn“.

Da Renbourne noch nie auf bestimmte Genres und Spielweisen begrenzt war, finden sich neben den typischen Folksongs auch bluesige Stücke mit zerfledderten Gitarrenfiguren, eines davon das berühmte „Anji“ von Shirley Collins-Kollaborateur Davey Graham, dessen kanonartige De Nova Da Capo-Stuktur seinerzeit als Sensation gehandelt wurde. Auch hier hält das Stück einige der hypnotischsten Momente bereit. Die zweite Hälfte des Konzertes war komplett Instrumentalstücken vorbehalten, unter ihnen ein eigentlich für Violine gedachtes Rag aus dem amerikanischen Süden und das kurze, mittelalterlich anmutende „The Earle of Salisbury“ von Renbourns frühem Album „Sir John Alot Of“, das den Stil repräsentiert, für den der Musiker vielleicht am ehesten bekannt ist. Ferner zwei Medleys: Auf dem ersten trifft eine melancholische irische Weise auf zwei Tanzstücke, das folgende vereint zwei Lautenstücke („Gypsy Dance“ und „Jew Dance“) des deutschen Renaissance-Komponisten Hans Neusiedler, den Renbourn wohl, wie er sagt, nicht grundsätzlich schätzt.

Renborun hielt sich bei seinen Konzerten selten an das Programm seiner gerade aktuellen Alben, sondern spielte einen Querschnitt durch gerade aktuelles und zurückliegendes sowie Stücke aus unterschiedlichen Richtungen, die in keiner seiner Studioaufnahmen vorkommen – auch deshalb ist dieser Mitschnitt interessant, der darüberhinaus durch seine Klangqualität, seine intime Atmosphäre und die ausführlichen Liner notes von Masaki Batoh (Ghost, The Silence) überzeugt. (U.S.)

Label: Drag City