CHRISTOPHER CHAPLIN: Paradise Lost

Der englische Komponist und Musiker Christopher James Chaplin, der jahrelang mit Hans-Joachim Roedelius zusammenarbeitete, hat ein großes Interesse an der Umsetzung literarischer und v.a. lyrischer Texte im Medium Musik. Umsetzung meint in dem Fall weder eine von Hintergrundmusik untermalte Lesung, noch die Verwandlung von Gedichten in mehr oder weniger stimmige Songs, sondern eine Vertonung, bei der Texte, Gesang und Musik gemeinsam an einem Ausdruck arbeiten.

Nach seinem Solodebüt “Je suis le Ténébreux”, auf dem er das gleichnamige Gedicht Gerard de Nervals und das “Rätsel von Bologna”, einen ananymen Text der italienischen Renaissance adaptierte, hat er sich in “Paradise Lost” an das berühmte Epos John Miltons herangewagt – ein Wagnis schon deshalb, weil man sich dem vielzitierten Text über den Höllensturz der gefallenen Engel und das Wirken Satans, der zudem über ein gewisses Klischeepotenzial verfügt, nicht beliebig nähern sollte.

In den drei längeren Stücken erweist sich Chaplin als hervorragender Dramaturg: Ein Ensemble aus Glocken und Bläsern, aus Streichern, Trommeln und Klaviertupfern verbreitet zu Beginn eine diffuse Stimmung, in der tastenden Vorwärtsbewegungen in alle möglichen Ecken deuten und jede Menge Spannung entsteht. Erst der Gesang eines Tenors zeigt eine Richtung an. Mit dessen Verschwinden kehrt Unruhe ein, spätestens jetzt ist die Dramatik spürbar, die sich hier zusammenbraut. Doch unter dem Klimax aus federnden Metallteilen und schellenden Glöckchen, tief unter dem entfesselten Chaos kaum noch erkennbarer Instrumente, entfaltet sich ein ambienter Wohlklang, der immer mehr Raum einnimmt, und alles in einer tief traurigen Harmonie umfängt.

Erschöpftes Stöhnen, himmlische Chöre, ein Stimmvortrag, der entfernt an Genesis P-Orridge erinnert, kurz aufspielende Streicher, ein undefinierbarer Sternschnuppenregen – auch in den folgenden Stücken findet sich Kleinteiliges in Hülle und Fülle, und gerne koollidiert der beschwörende Gesang Nathan Vales und Leslie Winers, der ausgewählte Stellen aus Miltons Text wiedergibt, mit orchestraler Wucht und mechanischer Atonalität, und zusammen entfalten diese z.T. gegensätzlichen Komponenten eine Stimmung, die so eindringlich ist, dass das Gefühl der Gefallenheit auch dann spürbar wäre, wenn man keine Silbe des Textes verstünde.

Label: Fabrique Records