HOLOTROP: Deconstruction Mentale

Das in Berlin ansässige Projekt Holotrop tauchte vor einigen Jahren im Terrain zwischen ritueller Musik, Ambient und dunkler, psychedelischer Elektronik auf und machte sich durch Konzerte im In- und Ausland und eine rege Folge von Releases einen Namen. Der Name des Projektes bezeichnet die Eigenschaft einer Atemtechnik, die ekstatische Zustände hervorzurufen vermag und auf die Forschungen des Psychiaters Stanislav Grof, einem Pionier der Transpersonalen Psychologie zurückgeht.

Diese heute v.a. im englischsprachigen Raum gepflegte Disziplin arbeitet an einer Synthese westlicher Psychologie und spiritueller Praktiken u.a. tantrischen und schamanistischen Ursprungs – und hat über Wissenschaftler wie Charles Tart bereits den Lehren Gurdjieffs zu akademischen Weihen verholfen. Transpersonal heißt dabei (auch), dass der Mensch mehr als seine künstlich antrainierte, gesellschaftlich akzeptable Person ist. Für Holotrop scheint dieser Gedanke generell impulsgebend zu sein, denn seit dem Album “Transpersonal Musick” erschienen bereits mehrere Veröffentlichungen im Rahmen einer lose zusammenhängenden Serie, die sich auf je eigene Art der Transzendierung oder Zerstörung der menschlichen Persönlichkeit und des Egos widmen – Dingen, die sich auf den ersten Blick ungesund anhören mögen, die aber gemeinhin auf die Befreiung des menschlichen Wesenskerns von einem einengenden Identitätskorsett und-konstrukt hinauslaufen. Dieses Konzept, mit dem Holotrop wie ein Geistsverwandter Rudolf Eb.ers anmutet, ist allerdings so weit gefasst, dass es bereits die Ideen der sogenannten Anthropofugalphilosophie mit einbezog, die auf ganz eigene Art die Kategorie “Mensch” vom aufkläererischen Sockel hob.

Musikalisch haben die einzelnen Teile der Reihe immer ihren ganz eigenen Sound und Stil, und wer noch die meist kürzeren, von dezenten Rhythmen durchzogenen und bisweilen sogar lärmigen Stücke auf “Dead Bird Calling” im Kopf hat, könnte sich beim vor einiger Zeit erschienenen “Deconstruction Mentale” wundern, denn dieses Album klingt wie ein introvertierter Bruder des Vorgängers, der ganz auf subtile Andeutungen setzt und trotz eines überschaubaren Sets an Motiven Besinnung und Aufmerksamkeit fordert.

Leise, bedächtig, sich langsam in Klangfülle und Lautstärke steigernd, auf ein Plateau und manchmal auch auf einen nur vage erkennbaren Kulminationspunkt zusteuernd – so sind die meisten der sechs Stücke aufgebaut, die stets mehr als zehn Minuten für die Entfaltung ihrer spezifischen Atmosphäre beanspruchen. Bisweilen jedoch, wie in “Inner Wasteland”, tastet sich der Sound auch mal etwas unsicher voran, was der Spannung und der Desolatheit des Settings nicht gerade abträglich ist. Schwebend, hypnotisch und vom organischen Klang einer dezenten Gitarre durchdrungen lassen die Soundflächen, die manchmal an Gruppen wie Inade, Herbst9 oder Lustmord der “Heresy” und “Monstrous Soul”-Phase erinnern, nur feine Variationen zu. Die rituelle Aura alldessen bekommt Verstärkung durch grummelnde Spoken Words und allerlei kleinteiliges Klappern und Rascheln, das immer so weit im Hintergrund bleibt, dass das Geheimnis gewahrt bleibt. Irgendwas ereignet sich in dunklen Räumen hinter der nächsten Ecke, doch was es ist, ahnt man allenfalls. Schritte im Wasser sind zu hören, Klingen schlagen aufeinander, man hört Becken zischeln und einiges, das direkt der Hexenküche von Xenakis’ Tapearbeiten entstammen könnte und an unterschiedlichen Orten in Laos, China, Russland und der Mongolei aufgenommen wurde.

“Deconstruction Mentale” ist ein recht homogenes Werk, das aufgrund seiner Stimmungsdichte auch ohne den Bezug zur Reihe funktioniert, passend dazu wirken die Tracktitel auch eher anregend als erklärend. Bei Beschäftigung mit der spirituellen und psychologischen Dimension jedoch gewinnt das Album an Weite – und macht gespannt auf eventuell noch folgende Fortsetzungen. Als nächstes steht wohl ein Split mit Vrna ins Haus. (U.S.)

Label: Qualia