Im Frühjahr 2014 wurde der nach einer Zeile aus einem Gedicht von John Clare betitelte eigentliche Vorgänger „I Am The Last Of All The Field That Fell” veröffentlicht. Seitdem erschienenen die beiden Alben „The Moons At Your Door“ sowie „The Stars On Their Horsies“, die den Fokus weniger auf den Song als auf das Soundscape richteten. Zudem gab es zwei Seitenprojekte: das mit Killing Jokes Youth eingespielte, opulenter instrumentierte, fast schon orchestral klingende Hypnopazuzu-Album “Create Christ, Sailor Boy” sowie jüngst noch das schon vor einigen Jahren aufgenommene kammermusikalische Album „Mirror Emperor“, das unter dem Projektnamen Zu93 mit Mitgliedern der italienischen Band Zu eingespielt worden war.
Schon seit längerem durch einen Teaser angekündigt, erscheint nun „The Light Is Leaving Us All“, das, soviel vorweg, vielleicht stärkste Album Current 93s seit „Black Ships Ate The Sky“. Das hängt sicher mit der Quaität der Songs zusammen. „Thunder Perfect Mind“, eines der Referenzwerke der Band, war natürlich ein Album, das deswegen eine unglaubliche Resonanz gefunden hat, weil es zwar sicher ein Füllhorn an Ideen war, aus denen andere Bands gleich mehrere Alben gemacht hätten, aber es enthielt eben auch einfach fantastische Stücke. Bei “The Light Is Leaving Us All” sehen das nicht alle genau so, aber meines Erachtens ist die Zahl der “Hits”, falls dieses Wort nicht fast schon zu profan im Zusammenhang mit Current 93 klingt, diesmal sehr hoch.
Thomas Ligotti, auf dem Myrninerestalbum als “Emperor Of the non-existent Knife of Night” apostrophiert, ist auf “The Birds Are Sweetly Singing”, dem weitgehend instrumentalen Opener, der aus Samples, field recordings, Theremin, Klavier und E-Gitarre besteht, kurz zu hören. Das dann folgende “The Policeman Is Dead” wird von Alisdair Roberts gezupfter Gitarre durchzogen und knüpft wie einige andere Stücke auf “The Light Is Leaving Us All” durchaus an Current 93s Arbeiten aus den 90er Jahren an. Die vorab veröffentlichte Single “Bright Dead Star” ist vielleicht als Song noch eingängiger, ist ein wahrlich catchy tune. Seltsame Perkussion leitet „A Thousand Witches“ ein, das von der Art des Vortrags etwas an die letzten Stücke von „Of Ruine Or Some Blazing Starre“ erinnert. Das wunderschöne “Your Future Cartoon” mit dem Zusammenspiel von Gitarre und Klavier rührt zu Tränen und auch „The Bench and the Fetch“ mit Ben Chasny an der „doppelgänger“-Gitarre würde in einem anderen, besseren Universum an der Spitze der Charts stehen. Wem “Fair Weather” mit dem todtraurigen Geigenspiel von Aloma Ruiz Boada keine Schauer über den Rücken jagt, der ist vollends abgestumpft.
Neben diesen recht harmonischen Stücken gibt es das etwas sprödere „30 Red Houses“ mit dramatischem Gesang Tibets oder das leicht dissonante „The Postman is Singing“ mit monotoner Gitarre und dunkler Geige, die das Bedrohliche, das sich in Zeilen wie “The LORD is on the Storm/He is the Storm” oder “When you turn out your Light/How’s Baal in the BedRoom” manifestiert, besonders unterstreichen. Geige und Dudelsack hört man auf “The Kettle’s On”, auf dem ein weiteres apokalyptisches Szenario entfaltet wird: “Cain moves our jaws/Cain is tongue in our mouth/Our hands stretch link/With Cain’s tendons [...] Dust storm and bone storm/TwiLit skies”. Daran knüpft das von Drehleier und Geige dominierte “The Milkmaid Sings”, mit dem das Album endet, an: “The lambs so sweet on grass/A thousand ded horsies/Hover over their skulls”.
Auf “The Light Is leaving Us All” sind die einzelnen Stücke durch Textzeilen und immer wiederkehrende Motive miteinander verwoben. Gleichzeitig finden sich Verwiese auf frühere Arbeiten (“SeaHorses”, “Signs in the Stars”, “Horsies”, “Aleph” oder “Cain” tauchen auf). Hier wird eine gefallene Welt besungen: „And please read the First Book/And consider the fall“ („The Policeman is Dead“), es werden Apokalypsen kosmischen Ausmaßes beschrieben: „WatchTowers arise from sand/Bring in storms in and out/Then to death chariots arise/As bone of stars“ („Fair Weather“) und alle Vorbereitung ist letztlich Makulatur: “The farm is boarded/Against the storm/But in the spaces InBetween/Wood and Brick and wood/The squeak awaits”(“Your Future Cartoon”). Gleichzeitig sind der Titel des Albums und die bemalten Fotografien des Artworks sicher ambivalent. Tibets Art des Textens macht ein Dekodieren letztlich aber fast unmöglich. Hier verdichtet sich die Privatmythologie zu einem Universum aus Chiffren. (MG)
Label: The Spheres / House of Mythology (Tape)