HYPNOPAZŪZU: Create Christ, Sailor Boy

Im Vorfeld der Veröffentlichung wurde von Seiten der Beteiligten über den langen Zeitraum gescherzt, der zwischen dem ersten und zweiten musikalischen Zusammentreffen von Killing Jokes Youth und David Tibet liegt, wobei sich natürlich auch Qualität wie Quantität der Zusammenarbeit unterscheiden, steuerte Youth 1984 doch lediglich ein paar Bassspuren zu Current 93s LP-Debüt „Nature Unveiled“ bei, während er sich auf „Create Christ, Sailor Boy“ komplett für die Musik verantwortlich zeigt. Schaut man sich musikalische Referenzpunkte im Werk Tibets der letzten Jahre an, dann kommt vielleicht entfernt „I Dreamt I Was Æon“, der Opener von „Baalstorm, Sing Omega“, in den Sinn. Vielleicht sollte man auch in der (umfangreichen) Disographie weit(er) zurückgehen und auf seine Arbeit mit Hilmar Örn Hilmarsson auf „Island“ verweisen, denn auch „Create Christ, Sailor Boy“ ist stärker elektronisch ausgerichtet, hat eine fast durchgehend orchestrale Opulenz.

Insbesondere in den vergangenen Jahren führte Tibets immer stärker werdende „kosmische“ Perspektive zu einer Art des Textens, die kaum noch für herkömmliche Songformate geeignet war (ich habe an anderer Stelle schon auf die fast außer Atem geratende Anhoni auf „Mourned Winter Then“ auf „I Am The Last Of All The Field That Fell“ hingewiesen), wodurch u.a. manche Stücke etwas an Dramatik und Dynamik und musikalisch zumindest in Livekontexten etwas den Fokus verloren. Auch schon bei früheren Aufnahmen, wie etwa bei der Schöpfungsgeschichte, die auf „The Seahorse Rears to Oblivion“ erzählt wird, konnte man das beobachten. „Create Christ, Sailor Boy“ ist dagegen ein Album, das in seiner Kohärenz und Dramatik beeindruckt und auf dem es gelingt, das Zusammenspiel von Wort und Musik zu perfektionieren, wie etwa sehr schön auf „Magog At The Maypole“ deutlich wird und auf dem tatsächlich mit dem Wechselspiel von Strophe und Refrain gearbeitet wird: „Neither coming nor going but/WAS/IS/SHALL BE“ (eine Zeile, die auf dem letzten Stück des Albums noch einmal aufgegriffen wird). Als Gegenpol zu diesem – fast möchte man sagen- Popsong gibt es „The Auras Are Escaping Into The Forest“, auf dem Tibet (natürlich im Original) aus dem Gilgameschepos vorträgt und auf dem der von Michael Rendall gespielte Moog dröhnt und Tibets Stimme in der Ferne hallt. Einer der Höhepunkte des Albums ist das von dem Ruf „Your palace and tomb“ (man muss unweigerlich an Shelleys „Ozymandias“ denken) eingeleitete „The Crow At Play“, auf dem Drones, Tablas, Streicher und Tibets intensiver Gesang das Stück zu einer wahren Tour de Force machen. Orientalisch klingende Perkussion ist auf „Sweet Sodom Singsongs ” zu hören, der Abschlusstrack „Night Shout, Bird Tongue“ wird von an Angelo Badalamenti erinnernde Streicher eingeleitet. Einige Stücke haben eine besonders orchestrale Wucht, wie z.B. „Christmas With The Channelers“, auf dem Tibets Gesang von Streichern und nach Pauken klingender Perkussion untermalt wird, das getragene „Your Eyes In The Skittle Hills“, das das Album eröffnet, oder der Abschlusstrack „Night Shout, Bird Tongue“.

Das Vokabular, die Symbolik (wobei das ein Begriff ist, den Tibet bezogen auf seine Texte sicherlich weit von sich weisen würde) erinnern an Current 93s Veröffentlichungen der letzten Jahre: Es taucht „the sex of stars“ auf, „Gary Glitter“ gleich zwei Mal. Die demnächst ihr erstes Album nach einer Pause von 38 Jahren veröffentlichende Shirley Collins tritt als „the Final May Queen“ auf (die von Tibet editierte Anthologie The Moons at Your Door war der „Secret Queen“ Collins gewidmet). Es findet sich erneut die Kontrastierung von Profanem und Erhabenem („With the usual GrabBag/of sublime visions/Such as: /Pinocchio Under Golgotha”, heißt es auf dem kurios betitelten “Pinocchio’s Handjob”), von Großem und Kleinem, Mikro- und Makrokosmos („Traces of space playing/In my lunchbox“). Die  Bilder, die Tibet hier evoziert und seine Privatmythologie („Confusing mythologies as ever“, singt er auf „Sweet Sodom Singsongs“) folgen ihrer eigenen Syntax . Auch angesichts des Endes muss noch Zeit sein für Grammatik: „In the diurnal house learning/Grammar near ARMAGEDDON“ (und man muss unweigerlich an Nietzsches oft zitierten Satz denken: „Ich fürchte wir werden Gott nicht los, wenn wir an die Grammatik glauben.“). Tibets Privatmythologie und –Kosmogonie sind in ihrer Hermetik sicherlich schwer zu dekodieren, manchmal denkt man, der späte(re) Pound habe sich an Blakes prophetischen Büchern versucht: „Spat signs out for the halo/I listened to at 12/And unballed myself/Crystalline/For the Beast Beast waiting/In his temple of GhostGods/Glossed as ‘vernal pox on Demeter‘-/Meant nichts“. Letztlich führt das aber dazu, dass die Sprache völlig autark ist, für sich steht und sich ab- und jenseits von Konventionen oder erschöpften Bildern bewegt. Vielleicht ist das eine Möglichkeit, eine verpanzerte Wahrnehmung (Walter Benjamin) aufzubrechen: „And we were caught on the hop/At the ApocaLollipop scheming/93 ways to kill your lover/And mimed to all the Greatest Hits/By Cat Stevens and I as Hound”. (MG)

Label: House of Mythology