DAVE PHILLIPS: Ritual Protest Music

Langsam dringt diffuses Zwitschern und Zirpen in den Raum, vermengt sich mit dem gehauchten Atem einer menschlichen Stimme und ein paar weiteren Geräuschen, die schnell die Gestalt von perkusivem Lärm annehmen. Hat man sich erst an das Soundmaterial gewöhnt, verwandelt sich alles in akustischen Treibsand und wirbelt durcheinander, wie es sich für einen Track namens “morphic field” auch gehört. Was zunächst chaotisch erscheint, kommt bei genauerem Hinhören in regelmäßigen Intervallen ritueller Repetition wieder. Man muss Dave Phillips’ aggressive Live-Actions und seine z.T. verstörenden Videoarbeiten nicht kennen, um zu verstehen, dass er seine Soundcollagen, wie der aktuelle Albumtitel klarmacht, als Protestmusik versteht, und das seine Musik im Unterschied zu vielen anderen Arten von Noise kein L’Art Pour L’Art ist.

Ein Blick in diverse Essays, Interviews und Liner Notes informiert, dass Phillips’ feurige Anklage der Begrenzung menschlicher Identitätskonzepte und dem menschlichen Raubbau an seinen Ressourcen und denen der Natur gilt. Die oft betriebsblinde Fetischisierung von Arbeit und Konsum, die oft ebenso unbewusste Selbstkonstruktion durch Identifikation mit allen möglichen Zugehörigkeiten und die Ausgrenzung anderer, die Reduktion von Leben auf einen Rohstoff, die Reduktion von Wissen auf Rationalität – all dies und mehr entpuppt sich in Phillips’ Arbeiten als große Sackgasse. Doch Phillips ist kein regressiver Apokalyptiker, sondern sagt all dem – immer seine Idee des ganzheitlich ausgerichteten “humanimalism” im Hinterkopf – den Kampf an. Seine Musik soll das Unbehagen in dieser Sackgasse ausdrücken, die Angst, die er als Symptom, aber auch als Lehrmeister und Motor der Veränderung begreift.

Dem Bestienhauch, den markerschütternden Schreien, den schwer erträglichen Sinustönen und dem Klang erstickender Stimmen meint man dieses Unbehagen anzuhören, doch m.E. lässt “ritual protest music” an vielen Stellen auch einen Vorgeschmack auf die Zerschlagung dieser Grenzen anklingen. Feldaufnahmen, meist aus der Natur, gesamplete Sounds des menschlichen Körpers und ein ganzes Ensemble konventioneller Instrumente geraten zusammen in einen Strudel, doch am stärksten wirken die vielen Detonationen und das metallene Schleifen und Prasseln zahlreicher Objekte wie ein Befreiungsschlag. Und doch erscheint dieser Schlag als ein künftiger, denn die beklemmende Wirklichkeit wird durch nichts beschönigt. Bei dem ängstigenden und schwer verständlichen Rezitieren in “small islands”, dem alles begrabenden Soundbrei in “go away” und in einem Tracktitel wie “once humans turned their thinking over to machines in the hope that this would set them free but that only permitted other humans with machines to enslave them” wäre dafür auch wenig Raum. (U.S.)

Label: Urbsounds