SLAGR: Dirr

Man muss nicht gleich mit dem Rhizom ankommen und Slagrs neues Werk mit Kafkas Bau vergleichen – Tatsache ist aber, dass das vierte Album der Norweger viele Eingänge hat, und je nachdem, welchen man wählt, kann man sich in ganz unterschiedlichen Geschichten wiederfinden: in einer avantgardistischen Komposition von Bela Bartok etwa, in einem scheinbar monoton auf der Stelle hüpfenden Werk der Minimal Music oder in einem geheimnisvoll verträumten Stück skandinavischer Folklore, das jederzeit in ein Postrock-Epos kippen könnte. Erst wenn man “Dirr” als Ganzes hört, offenbart sich der vage atmosphärische Zusammenhang.

Slagr haben sich mit der neogotischen Sofienberg-Kirche in Oslo einen passenden Ort zum Einspielen der acht Tracks ausgesucht, denn der für seine ungewöhnliche Raumakustik mit seinem natürlichen Hall bekannte Ort hat sicher einiges zu der weltentrückten Stimmung des Albums beigetragen, bei der man durchaus verlegen werden kann ob der vielen Male, in denen man das Wort hypnotisch etwas vorschnell gebraucht hat. Die repetitiven Muster mit ihren gemächlichen, z.T. kaum hörbaren Steigerungen in Tempo und Fülle, die die Musiker hier weben, tragen ebenso viel, wenn nicht mehr dazu bei.

Beim verwendeten Instrumentarium, das neben einem Vibraphon und einer exotisch klingenden Glasharmonika verschiedene Streichinstrumente umfasst, könnte man eine durchweg flächige Struktur erwarten, doch es kommt immer wieder zu längeren Passagen, in denen die schnellen Striche auf den folkigen Hardanger-Violinen mit ihren aufwühlenden Melodiefragmenten eine treibende, an Kompositionen von Steve Reich erinnernde Rhythmik annehmen. Ob es die Akustik des Ortes mit ihren Tendenz zu flirrenden Obertönen ist, die deren Klang manchmal leicht aufgerauht erscheinen lässt, ist schwer auszumachen, ebenso die Quelle des metallischen Klingelns, das die nach vorn huschenden Streicherparts zusätzlich akzentuiert.

Dem gegenüber stehen traumversunkene Klangwelten, die mit den verweht-verwunschenen Violinen und den gekonnt eingebauten Momenten der Stille wie eine nebelverhangene Morgendämmerung in einer nördlichen Landschaft anmuten, untermalt von einem Score von Matt Howden. Doch hier wie da entsteht oft der Eindruck, dass die Musik sehr stark mit Weggelassenem, mit kleinen Leerstellen arbeitet, die wie ein Lückentext mit Assoziationen aus dem Fundus der eigenen Imagination gefüllt werden können.

Hat man sich erst einmal an eines der verträumten Settings gewöhnt und beginnt sich einzurichten, wohnt man bereits seiner Ausblendung und dem fast unmerklichen Entstehen einer neuen Szenerie bei, denn die Muster der Musik sind im steten Wandel und – fast möchte man sagen paradoxerweise – nur mit einer Konzentration zu fassen, die ein völliges Einlassen verhindern. Mit Hubro haben Slagr nun ein Label gefunden, das wie für sie geschaffen scheint. Einer größeren Aufmerksamkeit auch außerhalb Norwegens sollte nun nichts mehr im Weg stehen.

Label: Hubro