ANNA CALVI: Hunter

Mit „Hunter“ ist Anna Calvi ein energiegeladenes Album gelungen, doch es ist eine unruhige, suchende, drängende Kraft, die die neun Songs durchdringt. Calvi äußerte in vielen Statements der letzten Zeit ein Unbehagen bei der Gefahr, Erwartungen zu entsprechen, etwas sein zu müssen, auch hinsichtlich der Vorstellung, was weiblich oder männlich ist. Und ihre Sehnsucht, etwas jenseits dieser Klischees zu sein, ihren eigenen individuellen Stempel zu bekommen, fühlt sich für sie an wie eine Jagd. In einem ihrer Postings dazu beginnen sieben Sätze mit „I want“, und in „Wish“, einem der neuen Songs, geht es um „one more wish before I die“.

Mit einem solchen Gemisch aus verzweifeltem Begehren und trotziger Entschlossenheit im Gepäck ist es nicht leicht, ein Album zu produzieren, dass wie aus einem Guss klingt, doch Calvi entgeht der Zerrissenheitsfalle konsequent, macht aus aller Not eine Tugend, zieht alle Register eines bluesigen Rock-Songwritertums und präsentiert ein vielfarbiges Stimmungspanorama, bei dem alles ineinanderfließt. Ihre gut aufeinander eingespielten Begleitmusiker, zu denen auch Leute von Portishead und den Bad Seeds gehören, darf dabei nicht unerwähnt bleiben.

Manche Songs dominiert ein melancholischer und bisweilen klagender Grundton, man spürt diesen in der schwülheißen Americana von „As a Man“, im sehnsüchtigen Exotismus von „Indies of Paradise“, in der verträumt filmischen Wehmut von „Swimming Pool“ oder im bluesigen A Capella-Auftakt von „Chain“, und das von vielen „no“ und „no more“ geprägte „Away“ ist ohenhin eine Ballade über das Verschwinden. Doch schon in diesen Stücken verbreitet sich über die Gesangsart und die oft lässige Drum Section eine Gelassenheit, die einen guten Teil der Schwere ausgleicht. Auch „Don’t Beat the Girl out of my Boy“, eine der stärksten Nummern, ist von schleppender Gangart, aber ein gewisses 60s-Mod-Feeling und der von starken Imperativen getragene Text lassen keine Resignation aufkommen. All dies wirkt stärker als die Stellen, an denen die Sängerin wie in „Alpha“ deutlich wird und sich als Alpha Anna, als Siegerin, die teilt und herrscht, präsentiert.

Natürlich birgt das kämpferisch vorgebrachte Gender-Thema Diskussionsstoff, was sich vermutlich aber kaum in Kritiken abzeichnen wird, denn von der Indiepresse erwarte ich in der Hinsicht nur Lob. In den Treppenhäußern der Rezipienten wird der Sängerin aber garantiert hier und da unterstellt werden, dass sie auf einen schon lange rollenden Zug aufspringt, und zu recht kann man bedauern, dass derartige Statement-Platten nicht häufiger in denjenigen Musikcommunities aufkommen, in denen es chauvinistischere Rollenbilder gibt als in denen, die die Musik Anna Calvis goutieren. Aber all dies sollte nicht dagegen sprechen, dass das Thema ihr eine Herzensangelegenheit ist. (A.Kaudaht)

Label: Domino