I don’t see any point in wasting time doing the same things: Ein Interview mit Michael Gira

Michael Gira hatte kurz vor Veröffentlichung des Albums „The Glowing Man“ bekanntgegeben, die Swans in der festen Bandkonstellation, wie sie seit 2010 existierten, aufzulösen und künftig mit einem losen Kollektiv von Musikern arbeiten zu wollen. „Leaving Meaning“, das jüngst erschienene Album, wurde dann auch sowohl mit altbekannten Musikern (z.B. Christof Hahn, Thor Harris, Norman Westberg) als auch mit neuen Gesichtern (z.B. Ben Frost, The Necks, Baby Dee, Anna von Hauswolff) aufgenommen. Ich sprach mit Michael Gira, während er gerade auf Solotour in Europa unterwegs war.

English Version

(auf Deutsch) Hallo Michael.

 Oh, du betonst meinen Namen richtig.

(auf Deutsch) Ich habe in Deutschland gelebt als ich 13 Jahre alt war. Ich verstehe ein bisschen Deutsch.

Großartig. Und sehr nett, dass sich das bemerkbar macht. Ich erinnere mich gelesen zu haben, dass dir die letzte Inkarnation der Swans wie eine perfekt verbundene Band vorkam. Kurz darauf kündigtest du aber an, mit den Swans, wie sie über ein paar Jahre bestanden, aufzuhören. Würdest du sagen, dass das logistische, physische oder finanzielle Gründe hatte? Ich sah euch mehrfach live in Köln, Frankfurt und Atlanta, und es war jedesmal eine unbeschreibliche physische Erfahrung – im positivsten Sinne des Wortes.

Sicher, es war für uns physisch, spirituell, emotional. Alles. Es war ein Höhepunkt der Karriere, denn wir entwickelten als Gruppe eine Art sechsten Sinn. Wir lasen gegenseitig unsere Gedanken, während wir spielten, und da Improvisation eine wichtige Sache für uns war, erlaubte es der Musik, sich vor uns zu entfalten, anstatt dass wir sie hervorbrachten. Es war seltsam, aber nachdem eine derartige Nähe zwischen sechs Leuten bestand, für mindestens 200 Tage im Jahr, sinkt der Ertrag etwas. Du kannst damit nicht weiter gehen. So haben wir es wohl gerade zum richtigen Zeitpunkt abgebrochen, und es war ein guter Punkt, um etwas neues anzusteuern, etwas unvertrautes.

Im Inlay der CD mit den Demo-Versionen der neuen Songs heißt es “Record the album. With whom? Where?“ Wie hast du dich entschieden, wer bei der neuen Inkarnation der Swans dabei sein und was machen würde?

Nun, ich machte mir eine Liste mit idealen Leuten, mit denen ich gerne zusammenarbeiten würde. Es ging dabei nicht nur um die musikalischen Fähigkeiten der Leute, sondern ich stellte sie mir auch mit mir in einem Raum vor, oder beim Spielen mit einer Gruppe, und wie das aussehen würde. Wie würde sich das anfühlen? So wählte ich Leute nach diesen Kriterien aus. Musikalische Kriterien einerseits, aber auch im Hinblick darauf, wer sie sind und wie es um ihre Sensibilitäten bestellt ist. Das war ebenso wichtig, und so kam es dazu, dass ich gerade mit diesen Leuten auf der Platte arbeitete. Es ist keine Band im eigentlichen Sinne mehr. Es ist nur eine Annsammlung von Individuen, die ich zusammengetrommelt habe, um eine Platte aufzunehmen und eine Tour zu machen.

Wie hast du dich entschieden, dass Baby Dee auf “The Nub“ singt? Sie ist großartig.

Sie spielte mit uns auf mehreren Tourneen. Ich liebe sie, sie ist wahnsinnig talentiert und witzig und eine großartige Person. Ich spielte die Gitarrenfiguren, die dem Song zugrunde liegen, und summte vor mich hin, und plötzlich hatte ich dieses Bild im Kopf von Baby Dee, wie sie im Raum schwebt, mit nichts als einer Windel begleitet, und Milch von den Sternen trinkt.

Ich denke, sie mag dieses Bild.

Dieses Bild erlaubte dem Song, sich selbst zu schreiben. Danach kontaktierte ich sie und sie fand die Idee, den Song zu singen, wundervoll. Ich denke, sie hat das wirklich sehr gemocht, ich ließ sie dann nach Berlin fliegen, um das Stück einzusingen. Ganz professionell hat sie das in einem Take gemacht. Sie ist eine großartige Cabaret-Performerin, und es war eine wunderbare Erfahrung.

Wie siehst du den Bezug zwischen dem neuen Album und den letzten drei, die man vielleicht als Trilogie bezeichnen könnte? Es gibt Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede.

Ich arbeite mit vielen Leuten, als Kollaborateur, aber auch als eine Art Regisseur, das ist wahrscheinlich ein gutes Wort dafür. Es war meine Aufgabe zu entscheiden, was von den drei letzten Alben vorhersehbar geworden ist, und was ein Potenzial hatte, damit weiterzugehen. So habe ich Dinge ausgewählt, mit denen man weitermachen konnte. Ganz sicher wollte ich nicht die langsamen Explosionen in einem Downbeat, die eine Signatur, eine Art Trope für die Swans geworden sind. Auch wollte ich die endlosen Crescendos oder die Tornados aus dissonanten Klängen nicht mehr haben. Was blieb also übrig? Was blieb waren die Songs und die Töne um die Akkorde und die Stimme. Dann kam die Frage, wie man ein visuelles, ein audiovisuelles Bild kreiert. Ich stellte nun die Musikerauswahl zusammen und dirigierte das ganze.

Wenn du sagst, dass dieses Crescendo nicht mehr da ist, mit kommt es vor, als sei das neue Album in Ermangelung eines besseren Wortes – etwas kontemplativer.

Wenn ich im Studio arbeite, benutze ich solche Adjektive nicht, um Musik zu beschreiben. Ich betrachte die Musik nicht im Rahmen der Bandgeschichte und stelle es nicht in einen Popkontext. Ich wende in der Hinsicht kein kritisches Denken an.

In dem Song “Your Phantom Limb“ heißt es “music is sacred / love is sacred / silence is sacred“, zum Ende heißt es dann “we’re flying / we’re rising“. Würdest du sagen, dass diese Zeilen etwas Programmatisches haben?

Problematisch?

Nein, programmatisch. Im Sinne einer zentralen Idee, eines Leitmitivs.

Ich weiß nicht, vielleicht. Ich denke, wenn jemand sich auf die eigene Existenz konzentriert, wirklich innerlich und äußerlich konzentriert, bekommt alles die gleiche Dringlichkeit. Es ist einer der Bewusstseinszustände, die ich wirklich liebe. Ohne Bewertung oder auch nur zusammenfassende Begriffe komplett von der Erfahrung durchdrungen zu sein, ist ein idealer Zustand für mich.

Würdest du sagen, dass man so etwas idealerweise auch in einem Live-Kontext erfahren kann?

Sicher gab es in der vorherigen Version der Swans Momente – nicht immer, natürlich – in denen die Musik aufwühlend war und sich wie von selbst entfaltete. Wir spielten nicht, es passierte uns allen, das Publikum eingeschlossen. Mit unserer aktiven Teilnahme, aber irgendwann übernahm die Musik das Geschehen. Es war wirklich etwas Wunderbares, so exakt gestimmt zu sein für die Magie der Erfahrung durch Sound.

Für mich war jedes eurer Konzerte eine extrem physische Erfahrung und ich frage mich, wie ihr das zustande bringt – v.a. wenn ihr auf einer längeren Tour seid.

Ich weiß nicht, wie wir das gemacht haben, ich mache das heute nicht mehr. Ich bin fünfundsechzig Jahre alt, und da ist was in meinen Knochen, dass sich wie Alter anfühlt, und die Ausdauer, die nötig ist für dreieinhalbstündige Konzerte, sechs Nächte die Woche, kein Schlaf etc. ist nicht mehr möglich. Es war aber auch nicht nur physisch, es war noch etwas, das darüber hinaus ging und außerdem sehr gewinnbringend war für uns und für das Publikum. Es war eine großartige Erfahrung und ich bin sehr froh, dass das ein Teil meines Lebens war.

Du sagtest anfangs, dass du dich nicht gerne wiederholst, und ich hatte erst kürzlich gelesen, dass ihr auf der kommenden Tour neben Material von “Leaving Meaning“ auch unveröffentlichtes, neues Material spielen wollt. Stimmt das?

Nun, ja. Dieses Material existiert noch nicht, aber was ich als erstes machen werde, wenn ich von dieser Tour in ein paar Wochen zurückkomme, ist mir all die Leute, die auf dieser Tour dabei sind, in einem Raum vorzustellen und neue Sachen speziell für dieses Ensemble zu schreiben. Ich will nicht nur die Songs, die auf dem Album sind, darstellen oder wiederholen, das ist nichts für mich. Manche Leute machen das, mich interessiert das nicht. Ich will das Material als Vehikel nutzen, als Ausgangspunkt, um etwas anderes, größeres daraus zu machen.

Wenn man sich umsieht, sieht man eine Menge Bands, die so lange wie ihr dabei sind, und viele von ihnen scheinen so etwas wie Nostalgie-Acts geworden zu sein, die Best of-Konzerte spielen und seit Jahren nichts neues mehr aufgenommen haben.

Ja. Man hat eine sehr begrenzte Zeit auf der Welt, und ich sehe keinen Sinn darin, Zeit zu vergeuden und immer das gleiche zu tun.

Das Leben ist kurz. Unglücklicherweise. Denke ich.

Weil es so kurz ist, kan es unglaublich kraftvoll und vielleicht sogar transzendent sein.

Erfüllt es dich, dass heute so viele Leute die Swans sehen wollen und du endlich den Lohn bekommst, den du verdienst?

Ja, es ist auf jeden Fall schön, ein Publikum zu haben, das kommt um das zu erfahren, was die Swans geben könne, und es ist schön zu sehen, dass es gar nicht mal wenige sind. Wenn man als Künstler Integrität bewahren möchte, muss man sich davor hüten, einem schlechten Ruf oder Schmerz Bedeutung in seinem Leben zu geben, denn diese verderben die Wahrheit. Deshalb denke ich, dass es wichtig ist, etwas Gutes zu schaffen, eine Arbeit, die Wert hat für einen selbst und andere, und mit diesem Ziel im Hinterkopf daran zu gehen.

Ich wollte dich noch etwas fragen, dass nicht direkt mit dem neuen Album zu tun hat. Ich habe deine Sammlung von Kurzgeschichten The Egg, und ich frage mich, ob es für dich etwas anderes ist, diese Geschichten oder Songlyrics zu schreiben, oder ob es da viele Gemeinsamkeiten gibt.

Ich würde sagen, dass es wenn v.a. eine Gemeinsamkeit gibt, nämlich dass ich am Anfang keine Idee habe, wo zum Teufel die Reise hingeht, und froh bin, wenn ein Bild auftaucht, und ich freue mich noch mehr, wenn ein weiteres Bild auftaucht, dass zu dem ersten passt und so Schritt für Schritt etwas zustandekommt. Ich denke, die Stories sind nicht wirklich Stories, es sind mehr Szenarien, Situationen. Ich hab keine Erwartung, wie ein normaler Schriftsteller zu schreiben, verstehst du, Charaktere entwerfen und einen Plot, auch wenn ich sehr gerne solche Sachen lese, aber ich gehe ans Schreiben mehr wie ein visueller Künstler heran. Ich beschreibe nur eine Situation und mache mich aus dem Staub, wenn es losgeht.

Interview: MG, Übersetzung: US, Bilder: Jennifer Gira

Swans @ Mute

Young God Records