SIAVASH AMINI: Serus

Serus ist das lateinische Wort für “spät”, und der Komponist Siavash Amini wählte den Begriff aufgrund seiner Nähe zur Nacht, von der der französische Autor Maurice Blanchot sagte, dass sie im Schlafzustand immer zweimal existiert: als physischer Zeitraum des Schlafens und der reduzierten Körperfunktionen, aber auch als innerpsychischer Zeitraum des Träumens mit seinen fiktiven Ereignissen und Erinnerungsfetzen, dem bekanntlich eine ganz eigene Logik zueigen ist. Eine Musik, die sich diesem Gedanken widmet, kann nicht eindimensional sein, auch wenn sie wie im Fall von “Serus” den dunklen Ambientkünsten entstammt.

Wie um das Geheimnisvolle der Nacht und seiner Undurchdringlichkeit zu illustrieren, gebärdet sich das Einleitende “A Recollection of the Disappeared” zunächst v.a. spannend: ambientes Rauschen, das sich bei genauem Hinhören als metallenes Prasseln zu erkennen gibt, wird immer wieder von elektronischen Peitschenschlägen durchsetzt, und irgendwann kommt ein organisches Dröhnen hinzu, das sich nach kurzer Zeit in einen tosenden Wind verwandelt. Vieles mutet hier wie die dunkle Entsprechung einer Fata Morgana an, und man mag die berührende Violinenparts, die sich irgendwann unter die Soundschichten mischen, zunächst nicht für real halten.

Die Geige, die Nima Aghiani von 9T Antiope beisteuert, kommt noch oft zum Einsatz, besinnlich in “Semblance”, als aufwühlende Hochtönerei im zweiten Teil von “All that Remained”, und zusammen mit sanftem Klimpern einer Saite und den tiefen Strichen eines E-Basses bringt sie eher die ruhigen, verträumten Aspekte der nächtlichen Wirklichkeit(en) zum Ausdruck. Turbulente Rauschwellen, die in markanten Schüben die Szenerie verunklären, und heftige Noiseausbrüche sorgen für die andere Seite dieser unberechenbaren Welt.

Klar kann man sich fragen, ob die zugrundeliegenden Überlegungen nicht eher eine Theorie des Schlafs als eine Theorie der Nacht sind, denn für eine schlaflos verbrachte Nacht gilt ja grundsätzlich anderes, aber hier soll nicht Blanchot, sondern Amini besprochen werden, und den haben Blanchots Ideen zu einem v.a. atmospärisch ausgesprochen intensiven Album angeregt. Dass man sich oft fragt, was man da gerade gehört hat, ist neben der Feinsinnigkeit der Komposition ein weiterer Grund, warum dieses Album erst mit der Zeit einen größeren Teil seines Charakters offenbart und dem Hörer erlaubt, sich in der Musik heimisch zu fühlen. (A.Kaudaht)

Label: Room40