ELIZABETH S.: Gather Love

Warum Elizabeth S., langjährige Mitwirkende bei der Band Eyeless in Gaza, erst nach Jahrzehnten ein Album im Alleingang produziert hat, ist nicht weiter bekannt. Schon die ersten beiden Tracks ihres vor kurzem erschienenen Debüts “Gather Love” geben jedoch bereits eine Vorstellung von der enorm aufwühlenden Emotionalität, die sich in unterschiedlichen Facetten durch das ganze Werk zieht. Ein solches Album braucht nicht nur eine Weile, um fertig gestellt zu werden, sondern noch mehr Zeit, um überhaupt als Idee heranzureifen.

Ein solches Album ist, so will es die Redensart, keine leichte Geburt, und so beginnt “Gather Love” wie ein Donnerschlag mit dem heftigen “Misborn”, bei dem die Sängerin inmitten einer lärmenden Karambolage aus Drums, Noiserockgitarren und anderen Instrumenten beschwörende Verse anstimmt, während kleine Melodiefragmente auch hier bereits die Sanftheit ahnen lassen, die im weiteren Verlauf immer deutlicher in den Vordergrund treten wird. Alles dreht sich um den titelgebenden Begriff, und es scheint, als wollten Gesang und Lärm durch eine unsichtbare Wand dringen. Hinter der verbirgt sich vielleicht die gelöste, sehnsuchtsvolle Trauer, in die das darauffolgende “Will Your Love” getaucht ist – dieser vielleicht eingängigste Song des Albums, dessen eindringliches Gitarrenspiel und feuriger Gesang die Energie des Folkrevivals der 70er channelt, stellt die Frage nach einer Liebe, die den Tod überdauert. Alles in diesem Stück scheint dem Schmerz abgerungen und ist dabei frei von jeder lieblichen Romantik.

Die zwölf Stücke, in denen die oftmals verschwimmenden Klänge von Gitarre, Piano, Melodica, dezenter Elektronik und Streichern den Sound prägen, drehen sich immer wieder um Themen des Verlusts und des Vermissens und strahlen dabei eine große Zärtlichkeit aus, die mehr als alles andere die Wertschätzung des Verlorenen deutlich macht. Der Journalist Lee Henderson, der einiges über die persönlichen Hintergründe des Albums weiß, erwähnt den Bezug einiger der Songs auf die Familie der Sängerin. So enthält das verweht dröhnende “The Carter Girl” eine Tape-Aufnahme, die Elizabeth als Kind von ihrer Mutter, einer Opernsängerin, machte, die später an Alzheimer erkrankte. Andere Songs wie das so entrückte wie exaltierte “Weathered Life” erzählen in ihren Texten von den Herausforderungen, mit denen der Sängerin nahestehende Personen leben und kämpfen mussten.

Was die Opulenz der Stücke betrifft, die in ihrem unklaren Ort zwischen dunklen Folkballaden und abstrakteren Soundscapes immer wieder auch an Elizabeths Stammband erinnern, könnte “Gather Love” durchaus das Werk einer Band sein. Und doch bleibt stets der Eindruck einer persönlichen, autobiografischen Stimme, wie sie nur in wirklichen Soloarbeiten sprechen kann – ganz gleich, ob die Sängerin sich dabei wie in dem schleppenden, fast an No Wave erinnernden “No Rain” oder im gemächlich rauschenden “The Long Farewell” eher zurücknimmt und den Instrumenten den vorderen Platz überlässt, oder ob sie auch gesanglich wie in “The Hill” oder dem monumentalen “Measured Greed” alle Barrieren durchbricht und sich in fast wahnhafter Ekstatik Ausdruck verschafft.

Zu den gemächlicheren Stücken zählt auch das Mason Williams-Cover “Wanderlove”, bei dem mit Alan Trench (Temple Music, 12 Thousand Days u.v.a.) und Ehemann Martyn Bates auch Gäste mit Drones und begleitendem Gesang zu Wort kommen. In das sanfte Dröhnen mischt sich etwas unruhig drängendes, das sich durch die emotionale Grund-DNA des ganzen Albums zieht, eine sich heftig aufbäumende Eruption, die gleichermaßen rastlos und konzentriert, magisch und kathartisch ist. Erst im kurzen Abspann von “To” glätten sich die Wogen – wie auf der letzten, versöhnlichen Seite einer autobiografischen Erzählung. Zweifelsohne ein mehr als gelungenes Debüt. (U.S.)

Label: Klanggalerie