Kein leises, bedächtiges Intro führt einen behutsam in die Welt von “Low Toms Bright Bells and Darkest Spells”, denn das Album, das Elyse Tabet zusammen mit zwei weiteren interessanten libanesischen Musikern – Pascal Semerdjian und Yara Asmar – aufgenommen hat, beginnt gleich mit einer erwartungsvollen Spannung. Ein dezentes, aber kaum leises elektronisches Vibrieren bildet den federnden Hintergrund für kraftvolle Drums, die über weite Strecken den vorderen Bühnenrand des ersten Stückes “Low Toms” einnehmen. Eine mitreißende und gleichsam hypnotische Stimmung entsteht, die von bald hinzukommenden Glockenklängen nicht angetastet, aber in ein ganz anderes Licht getaucht wird.
“Low Toms Bright Bells and Darkest Spells” entstand in mehreren Jam Sessions und war in seiner nun vorliegenden Form vielleicht nicht einmal geplant. Elyse Tabet, die früher unter dem Namen Litter auftrat und mittlerweile zwei Alben veröffentlicht hat, improvisierte zunächst spontan mit dem von der Band Postcards her bekannten Drummer Pascal Semerdjian – eine Session, bei der die akustischen Klänge von Pascals Tomtoms mit Elyses modularen Synthies und Drummachines in Dialog traten. Später improvisierte Elyse mit der gerade aufstrebenden Klangkünstlerin Yara Asmar, die mit ihrem klingelnden Idiophon, eventuell einem Glockenspiel, Stoff für weitere Stücke beitrug und bereits vorhandenes ergänzte. Aus dem Zusammenspiel der drei und ihrer Klangquellen entstand ein interessanter musikalischer Kosmos.
Das Herzstück des nur knapp über eine halbe Stunde langen Albums sind die ersten drei Stücke, in denen jeweils einer der Sounds wie in einem Tanz für drei die Führung übernimmt. Aber die Grenzen sind in der Hinsicht fließend, größere Veränderungen gibt es eher in puncto Gangart und Atmosphäre. Ist “Low Toms” noch ein eher aufgeräumtes Stück, bei dem sich ruhige und unruhige Passagen deutlich abwechseln, so ist das folgende “Bright Bells” weitaus vertrackter und wechselhafter: Ein zackig rhythmischer Auftakt leitet ein heiteres Durcheinander ein, bei dem hölzern klingende Glöckchen und allerhand Perkussives um die Vorherrschaft kämpfen, während sich melodische Strukturen drunter schieben. Gelegentlich drängen sie für Momente in den Vordergrund, und fast unbemerkt entsteht im Hintergrund wieder ein neuer Rhythmus. Es bleibt spannend und wird manchmal geradezu dramatisch, und dass man irgendwann ganz hypnotisiert ist, merkt man vielleicht erst wenn ein fast schriller Synthiesound jede Regression durchkreuzt, und man das Gefühl hat, einen neuen Raum zu betreten. Dieses kurze Stück unter fünf Minuten ist so opulent wie ein ganzer Film.
“And Darkest Spells” wirkt zunächst weitaus verzogener und abstrahierter, in seinem basslastigen Rumoren scheinen die Toms und die Bells im Hintergrund hörbar, und man fragt sich irgendwann, in welche Richtung die Reise hier geht. Doch wer sich zu früh eingelullt fühlt, wird irgendwann aufgeschreckt werden durch etwas, das an Propeller und Sirenen erinnert, während es kontinuierlich klopft und pocht. Ist es das Pochen eines Herzens, dass man hier hört, oder das verzweifelte Klopfen eines Menschen, der sich aus einer Kiste zu befreien sucht? Die entsprechenden Passagen in der Mitte dieses Stücks gehören zum beängstigendsten, das dieses Album zu bieten hat. Irgendwann scheint sich die Lage zu beruhigen und es kommen zahlreiche neue Sounds – Kreisendes, Pochendes, entspannte, liebliche Glöckchen und etwas, das in die Länge gezogene idiophone Klänge sein könnten – hinzu. Bisweilen wirkt das Stück wie ein Ausschnitt von etwas Umfangreicherem, das keinen wirklichen Anfang und kein wirkliches Ende hat – oder wie die Suche nach etwas Unbekanntem, die durch verschiedene harmonische und weniger harmonische Regionen führt.
Die Offenheit des Ganzen wird dann auch noch durch die beiden Tracks “Long Toms Through The Paper Shredder” und “Bright Bells (Bana Haffar Remix)” untermauert, die man theoretisch als Bonustracks betrachten kann, da sie anscheinend vorhandenes Material noch einmal neu umsetzen. “Long Toms…” wirkt zum Teil wie unter Wasser aufgenommen, es mutet zunächst ungeordneter an, doch das ist nur der erste Eindruck. Seine verschiedenfarbigen Glockenklänge leiten über in den mit ambienten Flächensounds startenden “Bright Bells”-Remix, doch das fast kosmische Ambiente nach Art der elektronischen Avantgarde wird mit der Zeit rauer und verzerrter und wie Landmarken strecken sich perkussive Klangbrocken in die Luft. Irgendwann zieht einfach jemand den Stecker heraus.
Trommeln, Glocken und dunkelste Verwünschungen – so lakonisch wie der Schluss ist auch der Titel, der nur die Hauptzutaten der klanglichen und atmosphärischen Mixtur benennt. Bei genauerem Nachdenken und Hinhören fällt natürlich schnell auf, wie viel das ist und welche Weite diese Komponenten zu erzeugen imstande sind. Das Resultat ist ein zwaz kompaktes, aber opulentes Album, das an keiner Stelle auch nur annähernd so etwas wie Längen aufweist. (U.S.)
Label: Ruptured