ØJERUM: Vågnende Jeg Ser De Døde

Der dänische Musiker, der unter dem Namen øjeRum firmiert und als Paw Grabowski Illustrationen mit oftmals floralen Motiven kreiert, scheint derzeit in einem stetigen kreativen Fluss zu sein und meldet sich alle paar Monate mit einem neuen musikalisches oder auch audiovisuelles Lebenszeichen zurück.

Der gerade bei Room40 erschienene Longplayer, der den aus dem dänischen Gesangbuch entlehnten Titel “Vågnende Jeg Ser De Døde” (“Erwachend sehe ich die Toten”) trägt, entstand im vorigen Frühjahr, genauer während der Ostertage, und knüpft, was die Aufnahmen betrifft, stark an das im Herbst erschienene “Reversed Cathedral” an. Wie in diesem nutzte der Musiker auch hier wieder die akustischen Besonderheiten eines alten Landhauses in der dänischen Provinz, nur das diesmal kein Harmonium, sondern ein Flügel die zentrale Klangquelle darstellt.

Das Herzstück des Albums bildet ein zusammenhängender knapp zwanzigminütiger Track, der in seiner wehmütigen Molltonart, seiner brüchigen Melodie und seinem weitgehend repetitiven Aufbau eher einfach gestaltet ist. Vielleicht ist es schlicht die Auswahl der aufeinander folgenden Töne, die dem Stück bei all seiner Schlichtheit doch eine überraschende Weite geben. Eine andere Besonderheit sind die zahlreichen Geräusche, die die Aufnahme begleiten und die man auf den ersten Eindruck für typische Umgebungsgeräusche halten könnte, denn man hört entfernte Stimmen und eine Menge Rauschen Knackern und Knistern, wie es einem auch im Alltag begegnen kann. Es handelt sich dabei allerdings um Radiowellen und andere elektronische Phänomene, die sich bei der Signalübertragung während der Aufnahme mit der eingespielten Musik vermischten. Meist bleiben diese Sounds subtil, an manchen Stellen sind sie aber sehr deutlich zu hören und verleihen den Aufnahmen in den Worten des Musikers eine geisterhafte Begleitung.

So entstand die Idee, diesen Geräuschen ihre eigene Bühne zu geben, weswegen øjeRum den für seine Arbeit mit Radiowellen bekannten Robin Rimbaud alias Scanner kontaktierte, der prompt zwei Mixe erarbeitete. Scanners beide Versionen gehen das Projekt von zwei unterschiedlichen Richtungen an, die erste setzt ganz auf das Hervorheben der besagten Zusätze. “Sleeping, I’m Blind to Life (Variation)” startet mit warmen, ambienten, manchmal leicht zittrigen Dröhnen, gehüllt in eine rauschende Wolke, die fast etwas von einem sanften Regenschauer hat und das sich mit der Zeit zu einer kristallin anmutenden Form verdichtet. Das Stück trägt zunächst der Subtilität der sich einschleichenden Geräusche Rechnung und versucht nicht, sie allzu plakativ ins Rampenlist zu zerren. Doch scheinen v.a. die Stimmen in dem Mix so nah, als kämen sie aus dem Nachbarzimmer, und in ihrer Verfremdung erhalten sie etwas gespensisches und gesichtsloses.

Nach dieser klavierfreien Version stellt das abschließende “Sleeping, I’m Blind to Life (Drifting Variation)” die Pianoparts in einer klanglich verfremeten Form wieder ins Zentrum des Geschehens. In ihrer verwaschenen Gestalt zählt die wiedergängerhafte Melodie des Originaltracks hier zu den berührendsten Aspekten des Albums. Wie geisterhafte Insekten schwirren die wieder auf Knistern und Knacken reduzierten Zufallsgeräusche um dieses Geschehen. Hier entspricht das Verhältnis zwichen zentrum und Marginalität wieder eher dem ursprünglichen Track, und doch ist die Umsetzung von diesem weit entfernt. (A.Kaudaht)

Label: Room40