OTTO SIDHARTA: Kajang

Otto Sidharta, dessen Name übrigens kein Pseudonym ist, gilt als einer der Pioniere der elektronischen Musik in Indonesien, wo er seit den späten 70ern als Komponist und Dirigent sowie als Musikwissenschaftler an verschiedenen Universitäten tätig ist. In unseren Breiten wurde sein Frühwerk 2017 einem etwas größeren Publikum in Form einer Retrospektive vorgestellt. Zu seinen großen Leidenschaften zählen neben Feldaufnahmen der Natur die zahlreichen Musikarten einzelner regionaler Volksgruppen, die zum Teil auf verschiedenen Inseln des Archipels eine recht abgeschottete Existenz führen und kaum äußere Einflüsse, also auch keine musikalischen Einflüsse, zulassen.

Sidhartas Intention ist vor allem die des Bewahrens, aber er sieht die zum Teil ungewöhnlichen, oft auf eigentümliche Weise “natürlich” klingenden Aufnahmen aus einigen Regionen auch als eine große Inspirationsquelle und als kompositorische Bauformen eigener Werke. Die auf seiner neuen LP verwendeten Aufnahmen stammen von der ethnischen Gruppierung der Kajang, die in einem abgelegenen Teil im Süden der Insel Sulawesi – früher Celebes – beheimatet sind. Im Rahmen vielfältiger Bearbeitungsschritte entstand auf der Basis dieser Aufnahmen ein sehr persönliches, nach Angabe des Komponisten selbstreflektives Album.

Ein Merkmal der Musik auf “Kajang” ist, dass die zugrunde liegenden Klangquellen oft nur schwer erahnt werden können. Der knapp über eine Viertelstunde lange Titeltrack, der das Album eröffnet, beginnt mit einem ziehenden klingenden Dröhnen von orchestraler Meliertheit, das eventuell auf gestrichenen Seiten basiert. Ganz bald kommt ein intensives Hochtönen hinzu, das leicht tremoliert. In dem wabernden Gemisch überlagern sich verschiedene Geschwindigkeiten subtil, und immer mal dringt raueres und manchmal auch lauteres an die Oberfläche. Hat man sich erst einmal in diese Musik verloren, erlebt man das vielleicht sogar als äußerst dramatisch, bis man zum Schluss sukzessive in luftige Höhen entrückt wird.

Ein leicht hörspielhafter Zug ist den Aufnahmen gemein, auch wenn sie fast rein instrumental gehalten sind. Kratzendes, wie gedubbt wirkendes Knacken mysteriöser Sounds, die sich immer wieder in ihrer Gestalt verändern, prägen einige Abschnitte vor allem des zweiten Tracks “Kerrikil”, bei dem man nie so genau weiß, ob einige der Geräusche vielleicht einem Mund oder einer heiseren Kehle entsprungen sind. Dann wiederum, wenn das Stück immer hektischer wird, assoziiert man eher steinernes Geröll. “Len” hat eine wesentlich ambientere Struktur mit seinen entrückt glühenden Klangflächen, die in ihrer Verträumtheit an kosmische Musik erinnern. Plötzlich ertönen Schritte durch dichtes Gestrüpp, später gesamplete Stimmen, doch schon bald wird wieder ein einheitlicher Strom daraus, der deutlich “elektronischere” Züge trägt.

Beim abschließenden “Pass” wird – nicht nur beim zikadenartigen Zirpen zu Beginn, sondern auch bei dem hellen hohen Dröhnen, bei dem man nie genau weiß, wo der zugrundeliegende Sound endet und die elektronische Bearbeitung beginnt– besonders klar, wie viel Heimeligkeit in den mysteriösen Klängen und ihrer nicht minder geheimnisvollen Bearbeitung steckt. Das mag in kritisch eingestellten Ohren allzu romantisch und vielleicht sogar exotisierend klingen, aber so soll es nicht gedacht sein. Was hier anklingt, ist so etwas wie das Gefühl, an einem versteckten Ort einen noch versteckteren Schatz gefunden zu haben, dessen Kostbarkeit berührt und den man nur unter einer Decke feiner Bearbeitung fremden Ohren präsentiert.

Label: Sub Rosa