THE SISTERHOOD: Gift

Vor kurzem widmete das Feuilleton der FAZ in der Druckausgabe fast eine komplette Seite der Besprechung der jetzt auf Deutsch erschienenen Biographie von The Sisters Of Mercy des The Quietus-Autoren Mark Andrews, die die Geschichte der Band von ihren Anfängen bis zum 1985 erschienenen Debüt „First And Last And Always“ nachzeichnet – überraschend viel Platz wird hier einer Band eingeräumt, die seit 1990 kein Album mehr herausgebracht hat und (deswegen) für viele doch eher ein Relikt aus den 80ern ist. Vielleicht verdeutlicht das aber, welche Strahlkraft diese Band noch immer trotz ihres (partiellen) Schweigens hat: Wenige Künstler haben so obsessive Fans, was sich auch in der schier unüberschaubaren Menge an Bootlegs zeigt, die tatsächlich Legion sind.

Andrew Eldritch weigert sich vehement, eine neue Platte aufzunehmen – Record News führen auf der offiziellen Bandseite seit Jahr(zehnt)en (semi-)augenzwinkernd zu einer Fehlermeldung – und dies mag einer Mischung aus Starrsinn, Schreibblockade und Faulheit geschuldet sein. Geld wird durch Touren, die noch immer mittelgroße Hallen füllen, und T-Shirts eingenommen. Zwar wurden Fans über die Jahre hinweg nicht müde zu betonen, dass die Band schließlich neue Songs schreibe und live spiele, nur eben nicht aufnehme, dabei vergaßen sie geflissentlich, dass zwischen 1993 und 2018 gerade einmal gut zehn neue Stücke entstanden. Interessanterweise wurden laut Homepage der Band in den letzten drei Jahren ca.20 neue Songs geschrieben, von denen auf den letzten Touren 13 gespielt wurden, die teilweise die Hälfte des Sets ausmachten. Da mag kein neues „Temple Of Love“ dabei sein, aber ein paar der neuen Stücke könnten mit einer ordentlichen Aufnahme und Produktion durchaus zu einem ganz passablen Album führen, was allerdings mehr als unwahrscheinlich ist, gerade dann, wenn man bedenkt, wie lange es gedauert hat, so etwas wenig Aufwändiges wie das 1986 unter dem Namen The Sisterhood eingespielte Album neu zu veröffentlichen: 2019 erstmalig angekündigt, erscheint es erst jetzt – und ohne das ursprünglich angekündigte Bonusmaterial.

Die Geschichte der Genese des Projekts The Sisterhood und des Albums sollten eigentlichlich hinlänglich bekannt sein: Nach der anfangs nicht ganz so bitteren Trennung der Band entschieden sich Wayne Hussey und Craig Adams dann allerdings unter dem Namen The Sisterhood aufzutreten, was Andrew Eldritch veranlasste, unter eben diesem Namen die Single „Giving Ground“ und anschließend das Album „Gift“ zu veröffentlichen. Hussey und Adams nannten sich dann The Mission (auf den Titel „Left On Mission And Revenge“des geplanten Nachfolgers von „First And Last And Always“ anspielend). Das als zweite Sisterhood-Single geplante „This Corrosion“  wurde dann die mit Hilfe von Jim Steinmann opulent produzierte und orchestrierte Comebacksingle der Sisters im Jahre 1987.

Aus vertraglichen Gründen durfte Eldritch auf „Gift“ nicht singen, Vocals übernahmen der kurzzeitige Motörheaddrummer Lucas Fox und James Ray, der mit verschiedenen Projekten die Jahre über auf Merciful Release veröffentlichte. Die Aversion gegen die ehemaligen Bandmitglieder Hussey und Adams spiegelt sich auf dem Album wider: Neben dem mehr als deutlichen „vergifteten“ Titel beginnt “Gift” mit einem Track namens „Jihad“, ließ Eldritch aus einem Katalog die Beschreibung einer AK 47 (aka Kalaschnikow) vorlesen („Finland Red, Egypt White“), ritzte er in das Vinyl „Verteidigungskrieg“ und ließ auf „Rain From Heaven“ einen „Chorus Of Vengeance“ auftreten (in dem vielleicht Suicides Alan Vega zu hören ist). „Colours“ wurde ein Jahr später mit Vocals von Eldritch zur B-Seite von „This Corrosion“, „Giving Ground“, „Jihad“ und „Rain From Heaven“ schafften es im Laufe der Jahre auf Setlists.

„Jihad“ beginnt mit Patricia Morrisons gesprochenem „2-5-0-0-0“, was auf die Summe verweist, die Eldritch angeblich Hussey und Adams mit der Veröffentlichung von „Gift“ vor der (sicher weiß gepuderten) Nase wegschnappte; zu treibenden Beats deklamiert eine verzerrte Stimme „Jihad“. Als aggressives Statement zu Beginn ist das vielleicht ok, aber mit acht Minuten sicher zu lang. Das getragene „Colours“, ist mit der Reduktion auf wenige Zeilen Text auch etwas repetetiv, aber durch die flächigen Keyboardpassagen durchaus atmosphärisch, während „Giving Ground“ sich am ehesten einem konventionellen Songformat annähert. „Finland Red, Egypt White“ ist mit der AK47-Textrezitation und den schleppenden Beats etwas monoton, während „Rain From Heaven“ mit Zeilen wie „As the water flows over the bridge (We forgive as we forget)/As we walk on the floodland (As the day is long)/As we walk on the water (As the day is long)/We forget“, leicht sakralen Keyboards und dem oben erwähnten „Chorus of Vengeance“ das Album ganz stimmungsvoll beendet und bedingt als eine Vorwegnahme dessen verstanden werden kann, was 1987 mit „Floodland“, dem wahrscheinlich neben der „Reptile House-EP“ kohärentesten Werk und dem Höhepunkt von Eldritchs Schaffen, in Perfektion zu hören war.

Die eigene Einschätzung „the Sisterhood album has become a classic; it parallelled the New Beat of the Continental avant-garde which eventually spawned techno“ ist sicherlich etwas hyperbolisch und letztlich ist das Album trotz einiger interessanter Momente vielleicht interessant(er) als Antizipation der elektronischeren Richtung, die kommen sollte und, falls man etwas Psychologisieren möchte, als Illustration, wie Eldritchs Bühnen-Persona die Person Andrew Taylor immer mehr verschwinden ließ.

Dass Eldritch Jahre später um aus dem Vertrag mit seiner Plattenfirma ein unterdurchschnittliches Technoalbum mit seiner gesampleten Stimme aufnahm, das zum Glück nie offiziell veröffentlicht wurde, ist ein eher trauriger Nachtrag.

Um auf den Anfang zurückzukommen: Der Rezensent in der FAZ schließt seine Betrachtungen mit der (ernüchternden) Einschätzung, was hätte sein können, hätte der Eliot-Fan Eldritch sich nicht in Schamützlen mit der Plattenfirma verloren, die letztlich eher zu einem Stellungskrieg wurden, und hätte er weitere Alben aufgenommen: „Vielleicht hätte er heute tatsächlich den Status eines Nick Cave.“  Ein neues Album bleibt allerdings lediglich eine „perpetual possibility“ (T.S. Eliot) – nicht(s) mehr. (MG)

Label: Cadiz Music