Mark Ellis hat in seinen klassischen Elijah’s Mantle-Alben der 90er eine ganze Reihe an thematischen Bezügen verarbeitet. Da waren esoterische Motive, oft gnostischen Ursprungs oder aus dem Kanon der mystischen Strömungen verschiedener Religionen, von denen oft markante Zitate mantraartig wiederholt und von wuchtiger, orchestral anmutender Musik, die zugleich einen rituellen Charakter hatte, untermalt wurden. Daneben gab es mythologische Bezüge, die sich damit verknüpfen ließen, und nicht zuletzt Zitate aus der modernen Dichtung, oft von Autoren, für die sich die Literaturgeschichte auf den verkürzten Begriff “gegenaufklärerisch” geeinigt hat.
Es hätte wenig Sinn, innerhalb dieser Konzepte einzelne Kategorien voneinander zu trennen, da die Inhalte mal separat, mal in Vermischung vorkommen. Eine Unterscheidung, die man durchaus vornehmen konnte, ist die zwischen eher rezitativen Arbeiten, in denen Gedichte etwa (in Kollaboration mit Ozymandias) der englischen Romantiker, der französischen Symbolisten und besonders Baudelaires in ihrer Form unverändert vorgetragen und von einer eher filigranen Musik begleitet wurden, und denjenigen Arbeiten, bei denen Texte zum Material vielseitiger Kompositionen wurden. Hier beinhalteten Stücke oft Kombinationen aus verschiedenen, inhaltlich passenden Textzitaten, diese wurden häufig gesungen, und die Musik war nicht selten eine Mischung aus repetitiv-rituellen Kollagen und einer von Streichern, Holzbläsern und anderen Instrumenten geprägten Minimal Music, die trotz des Begriffs opulent sein konnte. Michael Nymans Musik zu Filmen Peter Greenaways wäre keine schlechte Referenz.
“Psalms From Invocations” tendiert eher zur letztgenannten Richtung und war zugleich etwas, das es in der Folge wiederholt geben sollte, nämlich eine Art Resumee und Rückschau auf vergangene Arbeiten, von denen ausgewählte Stücke neu interpretiert und kombiniert wurden. Nach thematisch stringenteren Konzeptalben wie “Sorrows of Sophia”, das sich dem Komplex weiblicher Energie widmet, oder “Betrayals and Extasies”, das die ambivalente Faszination von Rauschzuständen erkundet, erinnert die inhaltliche Ausrichtung hier eher an eine Best of. Den leitmotivischen Rahmen bildet die nur mit dezenten Geräuschen unterlegte Lesung aus T.S. Eliots “Murder in the Cathedral”, die Ellis zuvor im Vorprogramm von Dead Can Dance präsentiert hatte, und die sich hier in vier Abschnitten – meist gesprochen, an wenigen Stellen gesungen und von zirpenden Insekten und quakenden Fröschen begleitet – durch das Album zieht.
Ansonsten enthält das Album aber eine Menge Bombast. “Wise Words of Eve”, das zuvor auf der “Terra Serpentes”-Compilation enthalten war, ist eines der wuchtigsten Beispiele der “neoklassichen” Elijah’s Mantle, inhaltlich hätte die um einen Text des Kreuzritters Adhemar de Monteil gebaute Komposition auf “Sorrows of Sophia” gepasst. Das gleiche gilt für das anfangs noch zaghafte “Wings of Descension”. Aus Insektenzirpen und Flügelschlägen (man denke an die Schmetterlingsflügel, die als Symbol der Seele das ursprüngliche Cover zieren) wird lupenreiner “religious Industrial”, wie Ellis einmal ein Tape seines Vorgängerprojektes Masque betitelte. Ellis singt einen choralartigen Text über die “earthly mother”, die natürlich an den Song “Tellus Mater” vom erwähnten Album knüpft.
Zwei Tracks sind direkte Neuinterpretationen früherer Stücke, so das mantraartige “Misere de Profundis” vom Debüt “Angels of Perversity”, dem hier das “Lacrimosa Dies Illa” aus Mozarts Requiem als Koda angehängt wurde – ein sich kontinuierlich steigerndes Stück von beschwörender Aura, das sich perfekt als Tanzflächenfüller für “schwarze” Clubs eignen würde und ein weiteres Mal zeigt, wie sehr Ellis’ Musik über jede Genrezugehörigkeit erhaben ist. Ebenfalls neu arrangiert wurde “Gnosis” vom zweiten Album “Remedies in Heresies”, dessen damals neue Version nach dem apokryphen “Book of Ieu” benannt wurde und zu aggressiven Klavierakkorden verschiedene gnostische Begriffe wiederholt und mit einer magischen Formel abschließt. Das Titelstück kombiniert letztlich Zitate aus diversen Arbeiten der Vergangenheit mit einer technoiden Perkussion und weist so auf die nächste Stufe von Neubearbeitungen auf dem Folgealbum “Breath of Lazarus” voraus.
Lazarus’ Atem, der seine im Johannes-Evangelium fast zombieartig beschriebene Rückkehr ins Leben ankündigt, weht auch durch “Psalms From Invocations” – altes, verschlüsseltes Wissen erfuhr ein Nachleben in Ellis Kompositionen, denen hier eine weitere Schicht hinzugefügt wurde. Und vielschichtig war die so entstandene Musik auch in rezeptionsästhetischer Hinsicht, denn zwischen ihrer Konsumierung als düsterromantischer Musik und ihrer verkopften Rezeption als vertonter Reading List einer vergleichenden Religionstudie ist sicher Platz für einiges mehr.
Vor einigen Monaten unterzog Ellis das Material der “Psalms” einer weiteren Überarbeitung und brachte das Album quasi als Rework unter dem Titel “Psalms Of Persuasion” neu auf 100 CDrs und zum Download heraus. Abgesehen von drei kurzen Voice Over-Interludien und dem Verzicht sowohl auf “Gnosis/Book of Ieu” und die “Murder in the Cathedral”-Stücke betrifft die Überarbeitung v.a. neue Arrangements für Stimme und Orchestralsounds sowie ein klareres, detailfokussierteres Klangbild. So beginnt “Wise Words of Eve” mit einem etwas raueren, aber auch weniger dumpfen Intro, bei dem das liturgische Sample deutlicher zu erkennen ist, später meint man fast einen Frauenchor zu hören, der im Original nicht vorkam. Bei “Wings of Descension” geht verhuschtes Flüstern dem Rauschen und Flügelschlagen des Auftakts voran. “Misere de Profundis” beginnt stürmischer, endzeitlicher mit einer Soundmixtur, die wohl aus Ellis’ Stimme und verfremdeten Streichern gebaut wurde. Das frühere Titelstück “Psalms from Invocations” erfährt hier mit dem Zusatz “Religious Industrial” ein ähnliches Update zum klanglich noch mehr den Gegebenheiten seiner Zeit verpflichteten Original.
Man könnte jetzt monieren, dass die Veränderungen nur wenig mehr als alten Wein in neuen Schläuchen zu bieten haben und sich von Ellis Obsession, frühere Arbeiten immer wieder neu zu arrangieren, langsam etwas genervt zeigen – von einigen der überarbeiteten Tracks gab es bereits Versionen auf der als Compilation konzipierten “Observations of an Atheist”. Das geschähe dann freilich aus der Warte derer, die diese oder die Originale bereits besitzen und im Grunde kein Rerelease benötigen. Bedenkt man aber, wie lange “Psalms From Invocations” vergriffen war und wie sehr der neue Sound unseren heute doch verwöhnteren Ohren entgegenkommt, sieht man die Sahe vielleicht versöhnlicher, und wer weiß, vielleicht bringt das Work in Progress Elijah’s Mantle ja irgendwann nochmal ganz unerhörtes zutage. Eine Frage bleibt trotz alledem unbeantwortet: Wie würde ein wirklich neues Elijah’s Mantle-Album klingen, dass die typischen musikalischen Motive und inhaltlichen Theman in einem komplett neuen Stoff umsetzt und zugleich im bandtypischen Rahmen erweitert? Wir werden es vielleicht nie erfahren. (U.S.)
Label: De Nova Da Capo