Froh zu sein: Üppige Wiederveröffentlichung der Familie Hesselbach

Anfang Juni bringen play loud! productions eine weitere – und nicht die letzte! – Reissue der legendären Tübinger Punk’n'Wave-Combo Familie Hesselbach heraus. Diesmal handelt es sich um ihr 1982 bei Infam Produkt erschienenes Tape-Debüt “Froh zu sein”, das in einer Doppel-LP-Edition mit einigem Bonusmaterial herauskommt – letzteres umfasst die Songs des “8-Ep-Sampler” (1983) sowie ausgewählte Soloaufnahmen von Handke Hesselbach (1959-2019), der 1983 die Kassette “Ich Und Die Anderen” herausbrachte. Das stets tadellos gekleidete Sextett gründete sich 1981 nach der Auflösung des Vorgängerprojektes ABC und erspielte sich mit seinem originellen und gleichsam mitreißenden Stil, der nicht nur an die Punk, Postpunk und NDW-Innovationen der Zeit anknüpfte, sondern immer wieder auch Spuren von Jazz, Funk, Ska und anderen Stilrichtungen (Klezmer, Orientalisches, Osteuropäisches?) offenbarte, schnell ein zunächst regionales, bald dann auch deutschlandweites Renommee. Ein Geheimtipp in einer Zeit, in der deutscher New Wave immer mehr als eher triviales Pop-Phänomen vermarktet wurde, blieben sie jedoch trotz alledem. Ein weiteres Markenzeichen waren die Texte, die stets eine leicht dadaistische Schlagseite hatten und mit ihren bewusst altbackenen Wendungen und einem augenzwinkernden Ernst ihre ganz eigene Poesie hatten. Play loud! brachten vor rund drei Jahren die gleichmanige LP der Band neu heraus, fürs kommende Jahr ist bereits die Neuauflage der EP “Süddeutschland” und der letzten Kassette der Band geplant. “Froh zu sein” ist auch digital erhältlich.

Der deutsche (Post-)Punk fand nicht nur in Düsseldorf, Hamburg und Berlin statt. Mit ein, zwei Jahren Verspätung erreichte er die Provinz, wo an unwahrscheinlichen Orten wie Limburg, Varel, Kulmbach oder Verden noch unwahrscheinlichere Anlaufstellen für die abtrünnige Jugend entstanden. Auch um die schwäbischen Metropole Stuttgart (wo es eher ruhig blieb) bildeten sich produktive Zentren. In Pforzheim und Reutlingen. Oder in Tübingen, wo von knapp 20.000 Studierenden nur eine Handvoll mitbekommen hatte, dass da draußen eine kulturelle Revolution im Gange war. Je weniger Leute verfügbar waren, desto mehr Bands mussten sie gründen, um all die neuen Klänge und Ideen auszuprobieren. Die meisten davon waren eher potemkinsche Dörfer als aktive Gruppen. In Tübingen hießen sie Autofick, Zimt, Gäste Aus Ungarn, Moralische Entrüstung oder Attraktiv & Preiswert. Das wichtigste Organ des Tübinger Untergrunds war die Familie Hesselbach, die sogar eine richtige Band war. Sie konnte außerhalb des eigenen Postleitzahlenbereichs auftreten, die allerneusten Einflüsse adäquat verarbeiten, die durch Zeitschriften wie Sounds und Spex bis nach Tübingen gelangt waren und musste sich auch nicht zwischen dem Krach-Jazzfunk der Contortions und dem DIY-Pop der Times entscheiden. Die Familie Hesselbach konnte nämlich beides.


Die Kassette „Froh zu sein“, mit der die Familie Hesselbach im Frühjahr 1982 in interessierten Kreisen von sich reden machte, fängt die produktive Unruhe, die über ausgewählte Vertreter_innen der deutschen Provinzjugend hereingebrochen war, daher sehr genau und vermutlich sogar besser ein als die ein paar Monate später produzierte LP (Play Loud! Productions 2020)”. (Frank Apunkt Schneider)

Foto von Hendrik Zwietasch

@ play loud!