V.A.: Tolerance – The Anthem of Unity

Über Toleranz oder Duldsamkeit ist nicht erst seit dem Zeitalter der Aufklärung viel diskutiert worden, so z.B über die Frage, ob es sich dabei um Harmonie über Unterschiede hinweg handelt oder vielmehr gerade um ein Aushalten von Disharmonie, ohne an dieser zu zerbrechen und dabei seine duldende Haltung zu verlieren. Auch natürlich über die Frage, wo eventuell Grenzen des Tolerierbaten ausgemacht werden können und die Idee der Toleranz von einem praktizierbaren Modell zu einem abstrakten Ideal wird. Wird eine solche Haltung von anderen eingefordert, gerät ein Aspekt oftmals aus dem Blick, nämlich dass die Voraussetzungen für Toleranz weniger in der Bereitschaft eines souveränen Akteurs liegen, sondern in einer Fähigkeit, die dieser zugrunde liegen und trainiert werden muss.

Das mittlerweile in Berlin ansässige iranische Experimental-Label Noise a Noise hat vor kurzem zwei thematisch verknüpfte Compilations zu diesem Thema herausgebracht unter dem Titel “Tolerance and Intolerance: Binary Oppositions in Times of Strive”. In den Liner Notes zum “Tolerance: The Anthem of Unity” betitelten ersten Teil gehen die Kuratoren, auch ohne konkrete Beispiele zu nennen, auf politische und ideologische Spannungen unserer Zeit ein und appellieren an die Möglichkeiten zum Austausch auch im Dissens.

In der Auswahl der Musik, die nach gängigen Vorstellungen einer signifikanten Mehrheit vermutlich überwiegend im “herausfordernden” Bereich einzuordnen wäre, gingen die Macher keineswegs schematisch vor, indem sie etwa besonders konfrontative und somit besondere Toleranz fordernde Musik ins Boot holten, und auch die quasi duldsame Koexistenz sehr unterschiedlicher Stilelemente auf gleichem Raum wird hier keinesfalls plakativ umgesetzt. Das heißt wiederum nicht, das es hier gar nicht auch um solcherlei ginge, und vielleicht lohnt an dieser Stelle tatsächlich ein Blick in die viel zu wenig beachtete Monographie Die Ästhetik des Fremden des Literatur- und Kulturwissenschaftler Herbert Grabes, in der dieser die “verfremdeten”, weniger leicht zugänglichen Elemente moderner und postmoderner Ästhetik auch im Lichte einer Art Toleranzschulung, einer Einübung einer breiteren perzeptiven und hermeneutischen Verarbungsfähigkeit von Heterogenem beleuchtete.

Einige der vertretenen Stücke bieten tatsächlich auf kurzem Raum recht breit angelegte Panoramen sehr heterogener Details, die wie im Fall des Openers von Hanna Mesgari wie ein filmischer Panoramaschwenk anmuten, der gemächlich tropfendes Wasser, zwitschernde Vögel (oder Flöten), ein lachendes Kind, aber auch hektische Verkehrsszenen und arbeitsame Geschäftigkeit streift. Kollagenhafter und gleichzeitig turbulenter offeriert Ehsan Saboohis Beitrag den Trubel einer ratternden, schnatternden und flüsternden Welt in sieben Minuten.

Auch Arshan Najafis dunkel rauschender und von glitchigem Hämmern durchzogener Funkenflug und die orchestral lärmende Dystopie von Owrang haben diese kontrastierend-dokumentierende Struktur und gehen damit doch in eine abstrahiertere Richtung, die hier besonders von Cedrik Fermonts vokaldominiertem Balanceakt zwischen Toleranz und Intoleranz repräsentiert ist, oder der Spannung evozierenden, tastenden Beckenarbeit von Alireza Amirhajebi. Während Ali Balighi mit minimalistisch klingelnden Rhythmen Konzepte der Zeit herausfordert, kontrastiert Kian Hossein in einem mehrschichtigen Szenario monumentale Dröhnung und leise, filigrane Melodik. Fast überraschend wirkt das an einen Stummfilmscore erinnernde Duett von Flöte und Oboe des Komponisten Mohammad R. Hashemi oder das mehrstimmig begleitete A Capella-Stück der Sopranistin Niloufar Karimi. Auch das wellenförmige Dröhnen von Zhoobin Askariehs Didgeridoo kommt ohne deutliche Verfremdung aus und zählt zu den eher “klassischen” Abrundungen des Samplers.

Bei dessen Schlussgebung, einem furiosen Livetrack von Saturn Cube, werden mit verspielten und verzogenen Synthies, Löwengebrüll und Spritzpistolennoise noch mal alle Register gezogen, bevor einen entrückte Sounds in ungekannte, gewissermaßen fremde Welten emporheben. Über den zweiten, der Intoleranz gewidmeten Teil bald mehr auf diesen Seiten. (U.S.)

Label: Noise a Noise