MUSHROOM’S PATIENCE: Water

Über die personell fluide italienische Avantgardeband Mushroom’s Patience – ich sagte das schon einmal – könnte man ein ganzes Buch schreiben, ein ausgesprochen dickes sogar, wenn man zwischen die Kapitel zu den verschiedenen Werkphasen von den frühen 80ern bis heute, in denen sich der musikalische Stil immer wieder neu ausrichtete, noch die anderen Projekte von Mastermind Raffaele Cerroni wie Microloop und Bluphonic abhandeln würde.

Eine ausgesprochen fruchtbare Phase in dem, was man mit herkömmlichen Begriffen als ihre Karriere bezeichnen könnte, waren die Jahre nach 2000, als Mushroom’s Patience, die bisher ein eher lokaler Geheimtipp der italienischen Hauptstadt waren, beim österreichischen Hau Ruck!-Label unterkamen und sich zur Eroberung der weiten Welt des Post Industrial und Dark Folk mit all ihren Ausprägungen aufmachten. Ein Geheimtipp sind sie nach wie vor, was auch daran liegen mag, dass ihre surreale, z.T. proglastige Mixtur aus experimentierfreudiger Klangkunst, Zutaten aus der Jazzkiste und dadaistisch gebrochenen Folkansätzen einen breiteren Horizont fordern würde, als er in diesen Kreisen üblicherweise anzutreffen ist. Vereinzelte Ausnahmen gab es unter den “Szenegängern” aber durchaus, und die wurden gemeinhin glühende Fans.

In dieser Zeit kam es auch zu neuen kreativen Freundschaften, die wichtigste darunter ist ziemlich sicher die mit Jürgen Weber und Frl. Tost von Novy Svet, die damals gerade den ersten Zenit ihre eigenen Bandkarriere erlebten. Die wirkten dann auch sehr maßgeblich an den in dieser Zeit veröffentlichten Longplayern mit. Die Rede ist von den drei auf CD erschienenen Alben “Roma – Wien”, The Spirit of the Mountain” und nicht zuletzt “Water”, das jüngst in einer ersten Vinyledition neu aufgelegt wurde. Sie wurden dann aufgrund ihrer Themenkomplexe, die sich textlich um die Elemente Erde, Luft und Wasser drehten, aber auch aufgrund stilistischer Brücken, als Trilogie gefasst. Der Bemerkung des Labels, dass “Water” auch knapp achtzehn Jahre nach seiner Erstveröffentlichung noch frisch und unverbraucht wirkt, kann wahrscheinlich jeder zustimmen, der nicht aufgrund persönlicher Übersättigung die Nase voll hat von schrägem, post-industriell eingefärbtem Dadafolk, hinter dessen Triphaftigkeit man immer wieder eine subtile mystische Ernsthaftigkeit erahnen kann.

Mit einem echten Kracher startet die Sammlung an dreizehn lediglich durchnummerierten Tracks, einen Stück, das mit gebrochenem Rhythmen, seltsam bimmelnden Glöckchen und spontan auftretenden Klopf- und Klirrgeräuschen tatsächlich etwas Poppiges offenbart und an eine durch einen massiven Kater gefilterte Version eines ausrangierten Marc and the Mambas-Tracks erinnert. Es gibt die Richtung des Albums auch quasi in a nutshell vor, gleichwohl nur hier die Stimme Meister Cerronis halbversteckt zwischen den Säulen der restlichen Sounds zu hören ist.

Über weite Strecken des restlichen Albums steht Jürgen Weber am Mikro und lässt sein Markenzeichen – seine tiefe, verrauchte, immer leicht phlegmatisch wirkende Stimme – auf deutsch, englisch und spanisch durchs Wasser und seine vielfältigen Symbolwelten gleiten, und auch wenn die volle Bedeutung der Texte nicht immer verständlich ist, klingt doch vieles nach einer unverblümten Offenlegung existenziellen Leidens in einer sad world. Bei den musikalischen Motiven wechseln sich Samples aquatischen Rauschens mit Dröhnung, rumpelndem Hantieren und Klavierparts ab, die die Niños De La Bola in Erinnerung rufen, während die smoothe Trompete keines Geringeren als Flavio Rivabella die pulsierende Szenerie so gut es geht befriedet. Immer wieder gibt es Momente, in denen die akustischen Elemente der Musik, meist die Gitarre, manchmal mit Unterstützung entspannter Orgelparts, so schöngeistig und stimmungsvoll wie für Mushroom’s Patience möglich geraten, doch trötende Bläser, dadaistisches Quietschen und nicht zuletzt die unnachahmliche Monotonie mancher Gesangspassagen sorgen immer wieder dafür, dass das Idyll nicht ohne Störung bleibt.

Dem gegenüber stehen unverblümt sperrige Passagen von monumentalem Lärm und tosenden Winden, die den zum Flüstern verdonnerten Gesang umtoben, von apokalyptischen Pauken über einem Harmonium-Teppich im Nicostyle, von geloootem Gelächter, von flitzenden Takten, die eine zwitschernde Trompete und etwas, das verdächtig nach einem Gitarrensolo klingt, durch die Szenerie tragen. In diesen Momenten ist vielleicht Frl. Tost zu hören und ziemlich sicher Clau D.E.D.I., der laut Credits für Noises und Rituals zuständig war.

Allen, die “Water” seinerzeit verpasst haben sollten und allen Neueinsteigern in den Mushpar-Kosmos sei die neue Vinyl-Edition dieses kaum gealterten Albums mit Nachdruck ans Herz gelegt. Ganz nebenbei eignet es sich auch als Teaser für “La Nueva Normalidad”, das lange angekündigte erste Studioalbum nach “Antimodernismo” (2019), von dem gerade ein neuer Song vorliegt. (U.S.)

Label: Vrystaete / Enfant Terrible