Wie in eine unbekannte Szenerie geworfen fühlt man sich gleich zu Beginn auf Ümlauts neuem Album “Half the Speed of Light”. Verschiedene Klänge, perkussives Tappen und Kratzen kommt aus verschiedenen Richtungen und überall scheint sich ein subtiler Takt abzuzeichnen, der in seiner Ungreifbarkeit eine geheimnisvolle Aura entstehen lässt. Man versucht nach diesen Dingen zu greifen, sehnt sich nach einer verlässlichen Struktur, doch was aus den verschiedenen Ecken des Raumes auf einen zukommt, erfindet sich immer wieder neu. Die Verunsicherung allerdings tritt schnell zurück hinter die Neugier, welche schnell von den vielen interessanten Geräuschdetails geweckt wird, die mal Tierstimmen in Erinnerung rufen, sich dann aber oft schnell wieder auflösen in eine gewisse Abstraktion. Fast poppige Rhythmen entstehen kurz, um wieder zu vergehen und einem Brummen und Schaben das Feld überlassen, das theoretisch in Lärm münden könnte, doch dazu lassen sich die subtilen Sounds, die hier oft in der einen oder anderen transformierten Form wiederkommen, kaum verleiten.
In all seiner Unberechenbarkeit scheint die Musik doch einen dünnen roten Faden zu offenbaren, und der deutet in eine stellenweise loungeige, fast ein wenig heimelige Richtung. Ambient also? Ein Begriff, der im Ümlaut-Kontext immer mit einer gewissen Vorsicht zu verwenden ist, gleichwohl so zu bezeichnende Strukturen im Werk des Musikers durchaus eine Rolle spielen. Doch wenn immer diese in den Vordergrund treten, verlassen sie sich niemals auf bloße Techniken des Vermeidens, sondern wissen Komplexität und klangliche Störenfriede produktiv einzubauen.
“Half the Speed of light” also, das neue Soloalbum das heute in Connecticut lebenden New Yorker Soundartist Jeff Düngfelder alias Ümlaut, ist konzipiert als Tongedicht, bei dem der Künstler mittels feinsinniger Elektronik, Field Recordings und sorgsam eingesetzten akustischen Instrumenten seinen Erinnerungen nachgeht. Erinnerungen an verschiedene Reisen, die er mehrfach in unterschiedliche Teile der Welt, zum Beispiel nach Europa und Asien, unternommen hat. Doch es geht auf “Half the Speed of Light”, wie schon in den einleitenden Beschreibungen zu erkennen war, keineswegs nur – und vielleicht nicht einmal in erster Linie – um die interessanten und vielgestaltigen Inhalte dieser Erinnerungen. Der Vorgang des Erinnerns selbst, seine Intensität, aber auch seine Fragilität, seine schwer zu bändigenden Zufälligkeiten, seine ganz eigenen unberechenbaren und gerade deshalb so reizvollen Zeitstrukturen und seine größte Herausforderung, nämlich das ebenso komplexe Vergessen, zeichnen sich stark in den einzelnen Stücken ab
Bei “I Sing the Ice Electric”, das lange Zeit wie eine Art Intro anmutet, haben über weite Passagen die weniger harmonisch klingenden Details in ihrem verkratzten Aufruhr, aber auch in ihrem holzigen Tappen und im scheinbaren Bimmeln zahlreicher Glöckchen, die wie verfremdete Versatzstücke einer Jazzballade klingen, scheinbar die Oberhand. Eine gewisse Kühle durchzieht das Szenario, und erst mit der Zeit kommen ein paar Synthies hinzu, die eine Art Balance einzubringen und das Ganze mehr in einer harmonische Richtung zu führen scheinen, und doch muss hier nicht zwangsläufig ein solcher Schluss gezogen werden, den Raum für etwas Unruhe bleibt.
An sehr vielen Stellen ist spürbar, dass all dies keineswegs eine Musik ist, bei der man schon nach einer halben Minute einschätzen kann wie der Verlauf weitergehen wird, und in den meisten Fällen auch nicht nach mehreren Minuten. Das zeigt sich bei “Algebra Applies to the Clouds” mit seinen wechselhaften Rhythmusansätzen und seinen filigranen, an eine Klangschale erinnernden Sounds und seinem kantigen Tasten ebenso wie bei “Across the Ether”, wo entrückte Melodien und ein gesampleter Text, bei dem es ums Empfangen geht, das Soundbild gestalten. Oder beim nostalgisch anmutenden Titeltrack, bei dem gefühlte Reminiszenzen an die elektronische Avantgarde vergangener Dekaden, aquatisches Plätschern und motorisches Brummen immer wieder Raum für neue Rhythmen lassen, ohne dabei auch nur in die Nähe plakativer Kontrastwirkungen zu kommen.
Man kann zu jedem der vierzehn Stücke und zum Zusammenwirken ihrer vielen, oftmals kleinen Sounds eine Menge sagen, bei denen immer wieder deutlich wird, dass hier ein echter Schöngeist am Werk ist, der zu dosieren und zu kombinieren weiß. Besonders hervorheben lassen sich vielleicht Stücke wie “Der Orangengarten” oder “Bridge of Sighs”, wohl benannt nach der Seufzerbrücke in Venedig – Tracks, die spannende, ereignisreiche Geschichten erzählen, die man hier wie mit verbundenen Augen rezipiert. Ersteres hat, wie der Titel vielleicht schon andeutet, durchaus etwas von einem Idyll, in dem heitere Vögel ihren Part spielen und ein sanftes Gitarrenpacking zu hören ist. Dessen Eiern und Tremolieren scheint schon ein bisschen die Stimmigkeit des Idylls zu hinterfragen, was zu den geheimnisvollen Schritten und den Sounds von Motoren (eventuell von Flugzeugen) und andere Rauheiten passt. Beim erstgenannten dringt ein beunruhigender Raketensound oder ähnliches rauschend und am Ende detonierend durch angenehme Synthiemelodien, durch sanfte Gitarrenteppiche und etwas, das eventuell Streicher sein könnten, und doch weiß das Stück eine leichte, eher undramatische Melancholie und sogar so etwas wie Gelöstheit zu wahren. Gerade diese Stücke könnten eine ganz unterschiedliche Atmosphäre entstehen lassen, je nachdem ob man sie separat oder im Kontext des gesamten Albums hört.
In all diesem endlos erscheinenden Auftauchen und Verschwinden und gelegentlichen Wiederkehren, in all den Zusammenballungen der Zeichen und ihren zwangsläufigen Auflösungen, zeigt sich nicht nur Düngfelders feinsinnige psychologische Begabung bei der Beobachtung von Erinnerungsphänomenen, sondern auch sein großartiges Händchen beim Erschaffen flüchtiger musikalischer Strukturen, bei deren Aufbau die Fluktuation des Materials nie in ein Verschwinden des Klangs mündet und noch weniger im Chaos. Denn der Künstler versteht es, bei all dem eine Richtung und auch ein Gefühl für Harmonie zu bewahren. Auf diese Weise drückt er viel über die Möglichkeiten des Erinnerns in all seiner Fragilität aus, und keineswegs nur die Angst vor der Furie des Vergessens. (U.S.)