TEMPLE MUSIC / GIORGOS KARIOTIS: Worthless Treasures

Vielleicht betone ich zu häufig, dass die von Alan Trench und Steve Robinson ins Leben gerufene Band Temple Music eines der enigmatischsten Musikprojekte unserer Zeit ist, doch es fällt bei jedem ihrer musikalischen Lebenszeichen erneut auf. Nicht so sehr, weil die Musik mal üppig und mal im reduzierten Klangbild daherkommt, mal rau lärmend und mal in angenehmer Zugänglichkeit, weil sie ebenso Songs wie Klangwelten von großer Abstraktion hervorbringt und kein Genre für bare Münze nimmt. Vielmehr, weil sich der rote Faden, das Temple Music-Minimum, keineswegs in bestimmten Gitarrenfiguren, in einer Affinität zu esoterisch angehauchter Psychedelik erschöpft, sondern immer wieder in kleinen atmosphärischen Details spürbar wird, die ungreifbar bleiben.

Auch “Worthless Treasures”, eine in Kollaboration mit dem griechischen Beat Poet Giorgos Kariotis entstandene Sammlung von meist kurzen Kantaten, Sonaten und daran angelehnter Liedformen, betritt wieder stilistisches Neuland und ist u.a. das erste Temple Music-Album mit ausschließlich griechischen Texten, die der Dichter selbst aus seinen jüngeren Gedichtsammlungen (eine weitere heißt wohl “Valuable Trash”, was lautliche Aspekte des hier vorliegenden Titels wiederholt und seinen Inhalt ins genaue Gegenteil kehrt) ausgewählt und leicht umgeändert hat und hier mit unprätentiöser und doch subtil berührender Stimme vorträgt. Die Musik dazu, an der als weiterer Gast noch der irische Tenorsaxofonist Sean McCarron mitwirkt, will sich zu Beginn kaum festlegen und lässt erst mit der Zeit eine deutlichere Kohärenz durchscheinen.

Mit heiterer Wehmut eröffent ein von besagtem Saxofon geprägtes Instrumental – das einzige – den Reigen, lässt die Fata Morgana einer bekannten Melodie entstehen und macht bald Raum für einen poetologischen Diskurs Kariotis’ über die Erschaffung der Musik – zumindest vermute ich das anhand der englischen Untertitels “The Creation of Music” und einiger Wörter, die auch außerhalb des Griechischen bekannt sind, und wer weiß, vielleicht ergibt sich darin auch eine augenzwinkernde Engführung zwischen Dichtung und Musik, wie sie in Karotis’ Zitat in den Liner Notes anklingt: “The lyre of Orpheus is trying to bring us to reason -sometimes successfully. So do the sparse scattered words of Sappho’s poems or the seductive Pan’s syrinx”. Für eine Weile wechselt sich die Rezization mit den hellen Ornamenten des Blasinstrumentes ab, doch die heitere Wehmut des Instrumentalspiels scheint sich immer mehr zu vervielfältigen, bekommt den Hauch einer leichten Psychedelik und kulminiert in einem schwebenden Ambientsound, der den Vortrag durch den Raum trägt.

Ein Klavierstück mit Reminiszenzen an Barmusik zur Zeit eines Erik Satie sorgt für einen Szenenwechsel, zusammen mit Orgelklängen – vielleicht Karotis selbst, der in einigen Stücken auch Keyboard spielt – und etwas, das an Klarinetten erinnert, sorgen für eine leicht trunkene Jahrmarktsstimmung. In “Jack of Spades” (ich halte mich an die englischen Untertitel, da sie in unserem Sprachraum gängiger sind) schiebt sich erstmals die schöne Melodie einer elektrifizierten Gitarre hinter den Vortrag, ihre tremolierende Beschaffenheit lässt erstmals ein deutlicheres Temple Music-Gefühl aufkommen, doch das mollastige Piano und die bimmelnden Glöckchen im zauberhaften Sway des “Maritime Intermezzo” schlagen erneut eine ganz andere Richtung ein, bevor sich “Cardial Arrhythmias” mit seinen Bossanova-Samples von alten Schellackscheiben (?) und den schallgedämpften Trompeten, die durch das Gewebe des Textvortrags dringen, vielleicht am weitesten wegführt von dem, was man von einer Temple Music-Platte erwarten mag.

Im abschließenden Drittel fällt eine Steigerung der Dramatik auf, der Vortrag wird drängender, ungehaltener im aus dunklen Soundscapes, die streckenweise von O Paradis sein könnten, gebauten “A whaler harpooned by love”, das die typischen Trenchgitarren enthält. Mehr noch im etwas längeren “Io, a fairytale”, das eine von mehreren Stimmen und glühendem Dröhnen flankierte Fahrt in die infernalische Tiefen entweder einer Höhle oder einer Unterwasserwelt anstimmt.

Nach einem vordergründig erholsamen “Night Flight” – bei dem wohl die Berührung durch die schwingen einer Eule, einem Symbol für die Weisheisgöttin Athene, beschrieben wird, kommt es nochmal zu intensiven Momenten, in denen auch das Piano wiederkehrt, aber wie umhüllt von einer sirupartigen Schicht scheint, die nach und nach auch die Stimme des Dichters mehr und mehr absorbiert. Immer mehr fühlt man sich wie in tiefen Katakomben, in denen es dunkel und geheimnisvoll dröhnt, in denen aber die Bläsertöne gleichzeitig wieder einen Weg ins Offene weisen, wo eine Klaviersonate die Reise – die mit der Kosmogonie und der Erschaffung der Musik zu beginnen scheint und ein ganzes Leben umfasst – beinahe feierlich abschließt. (U.S.)