Noise à Noise, ein hauptsächlich im digitalen Bereich aktives Experimentallabel mit einem niemals beliebigen Output, bei dessen beachtlicher Frequenz man kaum mitkommt, hat vor einigen Monaten eine Compilation veröffentlicht, auf der eine internationale Riege an Beitragenden in Form von Klangmanipulationen, Kollagen partiell auf der Basis von Field Recordings und immer auch Lärm dem Thema Toleranz nachspürten und ihren Reflexionen einen musikalischen Ausdruck gaben.
Die Sammlung hatte von Beginn an einen Counterpart, der sich quasi dem Mangel an Toleranz widmete, und wenn man den Liner Notes zu beiden Veröffentlichungen folgt, geht es in der besonders auf den sozialen Kontext gemünzten Gegenüberstellung besonders – man bedenke die Untertitel “The Anthem of Unity” und “The Discordant Note” – v.a. auch um eine solche von Verbundenheit und Trennung. Dazu heißt es: “Intolerance which we know as a lack of tolerance/ unwillingness to tolerate or coexist, is the discordant note that festers in times of strife, sowing seeds of hatred and division [separation]. Standing as the antithesis of activism for peace. Intolerance fuels discrimination and violence. It takes advantage of fractures in societies, deepening the wounds prolonging conflicts during the revolutions, and sharpening the blades of hostility during the wars, pointing at those who dare to be different”.
Angst, Wut, Traurigkeit, Abgeklärtheit – all dies können Gefühlszustände sein, mit denen man in der einen oder anderen Form auf Unverträglichkeit und die am Horizont des Blickfeldes lauernde Zwietracht reagieren kann. Und es ist interessant zu sehen, dass schon in den ersten beiden Tracks der Compilation alles davon anklingt bzw. herausgehört werden kann. T-Noll eröffnet die Sammlung zunächst mit hypnotisierend vibrierenden Synthies, die sich in ihrer Intensität steigern und irgendwann wie eine Alarmsirene heulen, doch diese entpuppt sich als eine, deren Sound die eigene Implosion feiert. Ein großartiges Statement zum Anfang, das seine Desolatheit im donnernden Ende noch einmal zelebriert. Ähnlich desolat der viel distanzierter daherkommende dunkle Ambientsound von Reza Ahmadian: Der zu Beginn des Tracks noch greifbare, handhabbare Sound wird graduell verfremdet, bekommt eine rauschendere Textur, doch dann zeichnet sich unter der Oberfläche recht deutlich eine entrückte und zugleich wehmütige Melodie ab, etwas scheint zu entstehen.
Während die beiden Opener fast schon so etwas wie zwei Pole auf einer emotionalen Skala markieren und so etwas wie Aufruhr und Wut und einer desolaten Melancholie gegenüberstellen, bewegen sich die meisten anderen Beiträge – von ein paar schwer kategorisierbaren Tracks wie dem verspielte hochtönenden Stück von RDKPL – irgendwo innerhalb dieses Rahmens. Ali Balighis “Blue Paper”, das einem schon auf einem Album bearbeiteten Stoffzyklus entstammt, breitet eine kratzige Klanglandschaft mit ambientem Untergrund aus, über der sich etwas an einen Gitarrensolo erinnerndes ausbreitet. Aus der Disharmonie windet sich hier ein immer deutlicherer, aufwühlender “Schrei” heraus. Babak Sepanta lässt eine ähnlich desolate, unterschwellig turbulente Spannung entstehen, hier auf wahrscheinlich modularer Basis, bei der sich aus einem hintergründigen Lodern immer deutlichere rhythmische Muster, auch ohne Beat, herauskristallisieren, während eine weiblich klingende (vielleicht künstliche?) Stimme dem Ganzen einen Kommentar verpasst.
Zum Teil wird der aufwühlende Alarmismus ein wenig durch eine ungesunde, bedrückende Stimmung im Zaum gehalten. Das wird deutlich z.B in “Psychedelic Noise” von Ali Sasha, in welchem über modularen Syntinoppen gurgelnde Stimmfragmente eine Beklemmung zum Ausdruck kommt, die sich schnell auf die Hörer übertragen könnte. Dies wird noch gesteigert in dem Stück “Feathered Serpent” von Chem XP: Wie zufällig mitgeschnittenen Stimmfetzen, richtungsloses Hämmern und andere aufgeschnappte Umgebungsgeräusche steigern sich immer mehr, und irgendwann kristallisiert sich aus ihnen ein bedrohliches Knurren, das man leicht als Begleitsound einer Situation hören kann, bei denen sich intolerante Gefühle und Haltungen bis zum Äußersten zuspitzen.
Bei einer ganzen Reihe anderer Stücke scheint es eine Art von Traurigkeit zu sein, die die Aufgebrachtheit vordergründig zügelt und letztlich noch deutlicher aufscheinen lässt, und die so an Reza Ahmadian Stück anknüpfen. So z.B das von einigen Dissonanzen durchdrungene dunkle Ambienenstück von Kian Hossein, oder die deutsche Gruppe Jazrudtz mit ihrem Beitrag, einem Auszug aus einem längeren Stück, bei dem ein anfangs furioses Sirenen- und Lärminferno nach und nach, flankiert von unregelmäßigem Pauken, in der Stille versinkt. Oder “Entropy” von Ali Aghili, das mit seinen zischelnden Becken und hektischen Streichern anfangs noch monumental wirkt, dann aber immer mehr in einer traurigen und zugleich kühlen Melodie versinkt. Jesus Valenti und Nicki Yaghmaee steuern mit ihrem “Resilience Resistant” eines der atmosphärischen Highlights bei: Was mit bimmelndem Glöckchensound fast trostreich entrückt wirkt, verändert sich immer mehr zu einem bedrohlichen, von dunklen Stimmen erfüllten Tableau, in welchem das Brummen einer Schiffssirene einen durch prasselnden Regen an einen fremden Ort führt. Arshan Najafis “A Rhythm for Suffocation” bietet kratzigen Noise mit endzeitlich paukenden Rhythmen und löst sich gegen Ende im eigenen zerschmetterten Lärm auf. Das letzte Wort hat Ehsan Saboohi mit einem extra für die Compilation aufbearbeiteten Exzerpt seiner “Politics Aesthetics”-Serie, bei der ein Diskurs auf Farsi und funky Takte und andere Sounds mit subtilen Alltagsgeräuschen (oder etwas, das so klingt) zumindest für eine gewisse Zeit ein Arrangement bilden.
Das Auseinandersetzen und Arrangieren generell sind vielleicht Aspekte, die immer wieder in Reflexionen deutlich werden, zu denen die Musik und die Hintergründe der “Tolerance”- und “Intolerance”-Compilations anzuregen vermag. Was klingt und erscheint ein Mangel an Toleranz, und in welchen Bereichen ist seine reflexive Durchdringung und Überwindung wichtig und möglich? Kann ihr Gegenstück auch Akzeptanz sein? Diese einfach klingenden Fragen freilich können ganze Bibliotheken an Antwortversuchen und Gegenfragen provozieren, und im Rahmen dieser Arbeit findet auch die hier vertretene Musik ihren Platz. Sie ist nebenbei auch ein interessanter Einstieg in die Welt der experimentell ausgerichteten Musik aus dem iranischen Kulturkreis sowohl im Herkunftsland als auch in der Diaspora und ihren Raum im internationalen Rahmen.
Label: Noise a Noise